Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Raunächte V

Raunächte V

Bevor ich diesen Traum darlege, muss ich mir noch einmal Gedanken machen um die Leserschaft. Es ist ja alles, was wir in einen mit dem Internet, das sowohl Segen als auch Fluch ist, verbundenen Computer eintippen, irgendjemandem zugänglich. Warum sollte man es dann nicht gleich öffentlich halten, dass sich jeder fühlen kann, wie ein WikiLeaks Gründer Julian Assange und nicht mal fürchten muss, in Feindesland ausgeliefert zu werden. Das zweite, was ich vorausschicken möchte, ist, dass die guten Menschen im eigenen Leben einen scheinbar weniger beschäftigen, sie gehen höchstens mal als Mahner durch die Träume, denn „ist man einem Menschen verbunden, wie sollte man ihn nicht stets zum guten ermahnen“, so schrieb ich einst in das Poesiealbum meiner ältesten Tochter, als diese gerade mal 11 Jahre alt war. Ist man aber selber gerade gut in seinem Traum, so bleiben die Guten eben überhaupt außen vor.

Nach Abzug der von vornherein guten, habe ich gerade mal noch drei Geschwister, während die vollständige Anzahl eben die Masse ist. Diese drei führten mit mir ein kleines Kammerstück auf, das im Wesentlichen in der Küche unseres Vaterhauses spielte. Von diesen drei problematischeren Geschwistern waren zunächst nur zwei anwesend, zwei Brüder, und taten so, als hätten sie etwas zu tun, wobei über allem doch der Gedanke schwebte, dass sie mir gram sind, weil ich sie mit meinen Verrücktheiten über Gebühr beschäftigt hatte, dies aber nun mal ein Totenhaus war, in dem es eben außer dem Schlössereinbau nicht mehr viel zu tun gegeben hatte. Dass ich mich dort überhaupt mal wieder aufhalten durfte, hatte ich nur der Tatsache zu verdanken, dass diese Rumpferbengemeinschaft selbst anwesend war, sonst hatten sie es mir untersagt. Als ich damals auf mein vermeintliches Recht gepocht hatte, dass ich doch Miteigentümer sei, hatte meine Schwester süffisant bemerkt, ob ich denn einen Erbschein hätte, denn die Rumpferbengemeinschaft hielt viel auf das formale Recht. Nun hatte ich einen, und ich versuchte auch das Bedauern durchklingen zu lassen, dass ich meine Geschwister vielleicht mit meiner Art von Trauer, die wohl gemeinhin als verrückt eingestuft wird, über Gebühr beschäftigt hatte. Der Älteste bedachte sich und es hatte den Anschein, als wolle er mir dies verzeihen, der andere wartete ab, wie das Kräftemessen ausgehe. „Was willst Du denn überhaupt in diesem Totenhaus?“, kam es da. Da war ich ein bisschen platt, denn diese Frage hatte mir auch mein Rechtsanwalt auch schon mal gestellt.

Bevor ich diese Frage beantwortete, ging ich noch mal in die untere Etage, um rauszukommen, um eine zu rauchen. Da fegte an mir meine Schwester vorbei in einer Melange aus schlechtem Gewissen und übersteigertem Selbstbewusstsein und grüßte natürlich auch nur mit einem fast unhörbaren Knurren (ich kann nichts dafür, mir träumte es nur so und oft genug war es auch schon ähnlich gewesen).

Dann wir vier in der Küche. Meine Schwester öffnete, als wäre sie der Frage meines Bruders gewahr gewesen, den Schrank unter der Spüle, wo sich der Müll türmte: „Das vielleicht wegräumen?“ Da kam mir die Eingebung: „Nein, ich will Andacht halten, dem Ort und den Gegenständen, die mein Vater gebraucht hatte, gedenken. Gebt mir doch bitte einen Schlüssel.“ Das zweite Schloss sei sowieso unbenutzt, das sei immer offen, aber einen Schlüssel gäben sie mir nicht, sagten da die hartherzigen Geschwister. Nun war es an mir zu gehen. Ich kam an dem Türrahmen vorbei, der zum Wohnzimmer führte und an dem ich schon vor Monaten einen dezenten Aufkleber „Geschwistertreffen“ angebracht hatte. Der war entfernt und dafür waren verschiedene Zettel befestigt, die weniger dezent waren und auf nichts Wesentliches verwiesen.

Vielleicht hatten sie ja dieses Haus für sich in Besitz genommen und waren dabei, es nach ihrem Gusto umzugestalten. Sonst war allerdings alles noch so wie es war. Da dachte ich mir, dass scheinbar alle das Recht haben, Andacht zu halten und dem Ort und den Gegenständen, die meinen Vater umgeben hatten zu gedenken. Die Geschwister, die wegen ihres guten Herzens nicht zugegen waren, taten das sicher auf ihre Weise, und ihnen will ich diesen kleinen Aufsatz widmen.

C.R. 5.1.2021