Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne Nummer 29/2019 „leider jüngst gestorben“

Leider jüngst gestorben

Ein italienischer Romancier, Andrea Camilleri, ist vor wenigen Tagen gestorben. Das erfuhr ich von einem Aufsteller in der Bibliothek, wo dann auch gleich einige seiner Bücher ausgestellt waren. Der Titel des Buches, das ich mir daraufhin aussuchte, lautete: Das graue Kleid. Eigentlich müsste es der Handlung nach das graue Kostüm heißen, denn es geht um eine Art Businessbekleidung einer um viele Jahre jüngeren Ehefrau, die sehr umtriebig ist und eben ein Rätsel, wie es sich nach Fontane gehört («Eine Frau, die kein Rätsel ist, ist eigentlich gar keine»).

Der 25 Jahre ältere Ehemann hat gerade seine Bankkarriere beendet und ist in den Ruhestand getreten. Außer der Arbeit hatte er weder Interessen noch nennenswerte Freundschaften. So es seine Zeit erlaubte, hatte er den Affären seiner Frau nachzuspionieren, hatte sich mit ihrer Untreue aber auch schon so gut wie abgefunden und sie schon fast abgetreten an einen sog. Neffen, der sehr unverblümt mit unter seinem Dach lebte. Ein Langweiler, wie er war, brauchte er sich eigentlich nicht zu wundern, dass seine junge Frau auf Abenteuer ausging. Obwohl er sie als schlichtes Gemüt mit bilderbuchhafter Schönheit einstuft und sie sogar mit einer Barbiepuppe oder Aufblasfrau vergleicht und sich mit diesen Vorstellungen alles nur auf das Oberflächlichste gestalten kann und er sich zum Voyeur herabstuft, der sie bei ihren Schönheitsritualen genüsslich observieren darf, dann auch immer mal für eine halbe Stunde das blonde Wallehaar kämmen, sie ziemlich offensichtlich untreu ist, legt sich die Schuld doch eher auf ihn.

So wird der Roman eben ein Dokument der weiblichen Überlegenheit, dem im Leben Stehen, des sich leisten Können einer sexuellen Unersättlichkeit und dabei immer noch auf die Formen zu achten, der ganzen vergeblichen Gier nach Liebe und Zuneigung, die sie ihm, als er von einer tödlichen Krankheit befallen ist, dann auch noch gibt, aber eben nicht ganz, sondern auch schon wieder überschattet vom Sinn für das Praktische, nämlich dem Leben nach seinem Tod.

Echte Liebe ist nicht mehr dramatisierbar, sie wäre auch nicht lesbar, da müssen vielschichtige Charaktere her, die man nicht so schnell enträtseln kann, sonst würde das Buch nicht spannend sein. Schade nur, dass der Langweiler dann enttäuscht sterben musste und sich nicht eines Besseren besinnen konnte.

Christian Rempel in Zeuthen, den 30.7.2019