Der Gedichtladen

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Die Hecketaler

Die Hecketaler

Max ist in der fünften Klasse. Da gibt es keinen Schulhort mehr, und da er jeden Tag schon dreiviertel zwei Schluss hat und seine Mutter erst um 17 Uhr von der Arbeit nach Hause kommt, geht er meistens noch in den Jugendclub.

Der Leiter des Clubs, Peter, ist ein begnadeter Pädagoge, der nun allerdings selbst nicht viel von seiner eigenen Familie hat, weil er die Nachmittagsstunden mit den Jugendlichen verbringt. Manchmal helfen auch andere aus und er hat dann doch mal einen Nachmittag frei. Gerade in der Vorweihnachtszeit ist er auf Helfer angewiesen, aber die haben auch viel um die Ohren in der Adventszeit, und gerade heute, zwei Wochen vor dem Fest, findet sich keine Vertretung.

Da klingelt sein Telefon, private Nummer, aber darunter steht Himmelpfort. Peter versteht sofort und hebt ab. Der Weihnachtsmann, der ja nun über alles Bescheid weiß, sagt:

„Peter, ich habe da ein Problem. In vierzehn Tagen ist Weihnachten und ich werde und werde nicht fertig, es funktioniert einfach nicht.“

„Was funktioniert denn nicht?“, gab Peter zurück.

„Diese LED Weihnachtsbäume, sie sollen doch so spielerisch in verschiedenen Farben blinken, aber manche gehen gar nicht, bei anderen blinkt nur die Hälfte der LEDs.“

„Haben Sie denn die Schaltung und die einzelnen Bauelemente überprüft?“, forschte Peter.

„So weit ich das konnte, ja, aber es dauert einfach auch zu lange, die Dinger überhaupt zusammenzulöten“, klagte der Weihnachtsmann weiter.

„Dann kommen Sie doch einfach her und lassen Sie das die Jungs machen“, Peter lauschte in den Nebenraum und da waren die Jungs schon wieder am Balgen, während die Mädchen auf den Stufen der Bodentreppe saßen und sich mit ihren Handies beschäftigten.

Wie in einem Märchen dauerte es nur Minuten, da erklang vor dem Club Schellengeläut. Die Jungs hielten in ihrer Balgerei inne, eilten ans Fenster und drückten sich die Nasen platt. Nur die Mädchen blieben auf ihrer Bodentreppe, weil sie das Geräusch als von einem Handy verursacht hielten.

Da kam auch schon der Weihnachtsmann herein, nachdem er seinem wackeren Pferdchen ein Stück Zucker gegeben und ihm den Futtersack vorgebunden hatte. Die eingetretene Stille, die so ungewöhnlich war, hatte nun doch auch die Mädchen herbeigelockt und auch sie starrten den eintretenden Weihnachtsmann an, der nun freilich statt eines Sackes eine große Ikea Tasche hereintrug, von der sich herausstellte, dass sie keine Geschenke enthielt, sondern sieben Lötstationen, die die Kinder an dem großen langen Tisch rasch vor sich aufstellten.

„Kinder könnt ihr mir helfen, diese verflixten Dinger fertigzukriegen?“, fragte der Weihnachtsmann. „Zwar ist Kinderarbeit hier jetzt verboten, aber in der guten alten Zeit gab es ein sogenanntes Verlagswesen.“

„Verlagswesen? Sollen wir etwa langweilige Bücher herstellen?“, platzte Max heraus.

„Nein, Verlagswesen hieß früher eine Produktionsweise. Ihr kauft euch jeder einen Bausatz von mir, der kostet einen Taler. Wenn der LED Weihnachtsbaum dann funktioniert und ihr ihn mir fertig zurückgebt, bekommt ihr drei Taler für jeden der Bäumchen von mir“, erklärte der Weihnachtsmann.“

„Und wenn ich zwei schaffe, dann habe ich ja schon vier Taler verdient“, schwärmte Max.

„So ist es“, nickte der Weihnachtsmann.

Nun lagen alle Werkzeuge bereit und der Weihnachtsmann verteilte die Bausätze. Die meisten Kinder hatten noch nie gelötet.

„Es ist ganz einfach, beides muss heiß sein, das Lötauge, diese kleinen Kreise auf der Platine, und ebenso der Draht, und dann ein bisschen Lötzinn dran halten, bis er schmilzt“, war noch ein Hinweis, den der Weihnachtsmann gab und er musste noch viele Ratschläge geben, die von den Kindern nicht immer beachtet wurden.

Tilman war am erfinderischsten. Er machte einfach nur immer einen großen Klecks auf die Platine und beseitigte dann mit dem Lötkolben die entstandenen Brücken. So war er als erster fertig und das Bäumchen funktionierte perfekt. Der Weihnachtsmann, der von jedem der Kinder einen Taler eingesammelt hatte, wollte ihm schon die drei Taler auszahlen, da sagte Tilman:

„Eigentlich würde ich das Bäumchen lieber behalten und selbst ein bisschen Weihnachtsmann bei meinen Großeltern spielen. Geht das, Weihnachtsmann?“

„Wir auch, wir auch“, riefen die Kinder, die inzwischen auch fertiggeworden waren und bei denen zwar nicht alle Bäumchen perfekt funktionierten, aber immerhin alle leuchteten.

Natürlich willigte der Weihnachtsmann ein und da die meisten noch sowohl Opa als auch Oma hatten, wurde noch eine zweite Runde veranstaltet.

„Was ist denn so ein fertiges Bäumchen überhaupt wert, wenn es perfekt funktioniert, Weihnachtsmann?“, wollte Max in Erfahrung bringen.

„So an die fünf Taler ist das schon, also waren eure Taler richtige Hecketaler“, sagte der Weihnachtsmann noch. Doch da schlug die Kirchturmuhr vier Uhr. Alles Equipment, der Weihnachtsmann und der Schlitten, der ja wegen Schneemangels über kleine Räderchen verfügt hatte, waren verschwunden und auf dem Tisch standen nur noch die vierzehn LED Weihnachtsbäume, mit denen noch etwas Unerwartetes geschehen war.

Die grünen, sich kreuzenden und nach oben verjüngenden Leiterplatten hatten jetzt noch eine Spitze bekommen. Die Kinder glaubten ihre investierten Taler wiederzuerkennen, aber die strahlten nach allen Richtungen, dass sie mehr Weihnachtssternen glichen.

„Das Kinder“, sagte Peter, der in diesem Moment zurückgekommen war, „sind die Sterne von Bethlehem.“

CER 10.12.2025