Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW47

Erratum – ein Märchen

 

„Es war nicht unsere Absicht, ein unwohles Gefühl bei Ihnen zu hinterlassen“, so die kul­tivierte Antwort eines Geschäftsmanns, den wir angesprochen hatten und der leider nicht anders konnte, als seinen Beitrag zum Fest der Stille zu versagen.

Die zweite Richtigstellung, die hier nötig ist, wäre die, dass der besagte Markt gar nicht den Slogan hat: „Geist ist geil“, sondern ir­gend­was mit pfiffig oder so. Ob wir das in unserem dörflichen Milieu auch sagen kön­nen, ist natürlich die Frage. Wir haben es ja bei unseren Märkten hauptsächlich mit Ber­linern zu tun, die zu unserem Fest der Stille wohl eher daheim auf dem Sofa ihrer groß­städ­tischen Wohnungen sitzen werden.

Was uns auch noch nicht ganz klar ist, ist, wie man mit der Diskretion umgeht. Es sei bes­ser, gar keine Namen zu nennen, sagte meine Frau, sonst könnte eines Tages die Po­lizei vor der Tür stehen.

Kleiden wir unsere Erlebnisse, die nach den anfänglichen Rückschlägen dann viel positi­ver waren, in die Form eines Märchens:

Es war einmal eine Frau, die wollte das Märchen „Der Schneemann“ erzählen, das von Hans Christian Andersen ist. Zunächst muss sie sich im Rechtsstaat versichern, dass der dänische Autor auch schon sicher siebzig Jahre tot ist, weil sonst irgendwelche Instan­zen daran verdienen wollen, auch wenn die Frau daran gar nichts verdient.

Sie wollte, um das Märchen zu erzählen, gern in einem Ohrensessel sitzen, doch wo diesen hernehmen, denn die Frau war nicht gerade reich. Da ging sie zu einer Geschäfts­frau, deren Laden einen Namen führte, den ihr Herr Vater vor Jahren einmal gekauft hatte. Der Laden war sehr einträglich und auch viele Ohrensessel standen darin. Geld wollte die Geschäftsfrau der Frau, die das Märchen erzählen wollte, nicht geben, aber einen Ohrensessel zu leihen, war ihr ein Leichtes.

Die Frau bastelte sich verschiedene Figuren, die in dem Märchen vorkamen. Dazu brauch­te sie nur ein paar Luftballons, alte Zeitun­gen, Wolle und Farbe, und natürlich kohlenschwar­ze Knöpfe für den Schnee­mann.

Aber wo sollte sie die Landschaft herneh­men, wo das alles spielen sollte? Vor dem Sessel musste doch eine richtige Schnee­landschaft sein! In ihren Sorgen ging die Frau, die das Märchen erzählen wollte, noch einmal dorthin, wo die Geschäfte gemacht werden, und besah sich die Dinge, die als Landschaften gedacht waren.

Diesmal kam der Geschäftsmann des Hauses persönlich und hörte sich an, was die Frau vorhatte. Dieser Geschäftsmann war keiner, der nur in seinem Büro sitzt und das Geld zählt, sondern er war in seinem Hause immer unterwegs, ordnete mal dies und das, und alle Bediensteten hatten große Achtung vor ihm.

„Wie wäre es, wenn ich Ihnen diese Land­schaft hier schenke“, sagte der Geschäfts­mann und stapelte und stapelte seine Land­schaften um, bis die winterliche zum Vor­schein kam, rollte sie selbst ein und geleitete die Frau, die das Märchen erzählen wollte, freundlich zum Ausgang.

Die Bediensteten, die das Haus zu bewachen haben, staunten da nicht schlecht und überlegten, was wohl der Grund sein konn­te, dass die Frau, die das Märchen erzählen wollte, so einfach mit einer Landschaft da­von­gehen konnte, denn von dem Märchen wussten sie nichts.

Dann, dachte die Frau bei sich, brauche ich auch noch Licht auf den Ohrensessel, meine Figuren und die herrliche Schneelandschaft und besuchte noch einen Geschäftsmann, der allerdings nur selten anzutreffen ist, weil er im ganzen Lande unterwegs und mal hier mal dort für Strom und Licht sorgte.

Diesmal war er aber gerade in seinen hyper­modernen Räumlichkeiten, war auch sehr freund­lich und bot der Frau, die das Märchen er­zählen wollte, sogar einen Kaffee an.

Und was soll ich euch sagen, wie es dann wer­den sollte mit dem Märchen. Die Kinder konnten alles sehen, was im Märchen erzählt wird, und wussten doch aber gar nichts von den freund­lichen Geschäftsleuten.

Im Waltersdorfe 20.11.2011