Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Vom Eisending

Vom Eisending

Fährt man über die Regiostrecken nach Wolfenbüttel, so zieht man einen Viertelkreis um den Brocken, der gar nicht so hoch aussieht. Kurz vor der Dämmerung kommen wir an und suchen den Weg zum Hotel, der uns gleich durch die weihnachtliche Stadt führt, die uns einlud mit zwei Sehenswürdigkeiten: Der Justizvollzugsanstalt (JVA) und der Jägermeisterbrauerei. Da letztere aber nicht nach unserem Geschmack war, besehen wir uns die JVA, die wohl weniger als 300 Häftlinge hat und 300 Bedienstete, die sich um selbige kümmern. Dieser fast eins zu eins Schlüssel besagt, dass jeder Inhaftierte wohl auch eine Stelle bindet, sodass der Gesellschaft, von Richtern und Rechtsanwälten wollen wir gar nicht reden, ja einem Menschen Brot gegeben wird.

Einem DLF Radiobeitrag vom 6. November von Thomas Becker hatte ich entnommen, dass dort eine funktionsfähige, ganz aus Holz, bis auf das Beil, gefertigte Guillotine gestanden hätte, die doch eher aussieht wie ein Eisending, behelfs derer eine Frau, Erna Vaszinsky, wegen Plünderung und strafverschärfend wegen des Gebrauchs eines Lippenstiftes zu Tode gebracht worden sein soll. Die Guillotine erwies sich bei unserem Besuch als verschollen und den Hinrichtungsort könne man nur in Gruppen und nach Voranmeldung besichtigen. Ein solches Instrument könne auch über Gebühr ablenken, meinte ein Mitarbeiter, der auf die vielen Adio- und Videobeiträge verwies, die dann auch wirklich sehr aufschlussreich waren. Da wird nicht nur der Opfer gedacht, nein auch die Täter kommen zu Wort und sind dokumentiert. Die Hinrichtungen mit besagter Guillotine begannen 1937 und belaufen sich auf etwa 500 im Dritten Reich. Insgesamt kam man auf 750, weil in der Nachkriegszeit auch noch Todesurteile auf diese Weise vollstreckt wurden. Wolfenbüttel lag ja in der Britischen Besatzungszone. Es ist erstaunlich, wie lange noch Delikte strafwürdig waren in der BRD wie Homosexualität, die ja unter den Nazis stark verfolgt war. Der §175 fiel erst im Jahre 1994 vollständig weg.

Zweifellos das schönste Haus in Wolfenbüttel ist das Lessinghaus, das der umtriebige Dichter allerdings nur vier Jahre seines insgesamt 13jährigen Aufenthaltes in Wolfenbüttel bewohnte, und das dann auch als Witwer, denn seine Frau Eva König war bald nach der Fertigstellung, sowie deren gemeinsames Kind verstorben. In Lessings Wolfenbüttelaufenthalt fielen seine Werke Nathan der Weise und Emilia Galotti, die wohl bekanntesten.

Auch beherbergte Wolfenbüttel die einst größte europäische Bibliothek und zu seinen Lebzeiten wurde sie von Lessing verwaltet. Die Rotunde wich dann im 19. Jahrhundert der August Bibliothek, die nun gewaltig neben dem Lessinghaus steht.

C. R. 18. Dezember 2022 zu Zeuthen