Der Gedichtladen

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Das Rathaus – Corona forever

Das Rathaus – Corona forever

Der werdende Schönefelder, Herr Hentschke war wohl sein Name, seines Zeichens ein betagter Herr von nunmehr 90 Lenzen, hatte sich erkundigt, wo denn das Haus der Bürger in Schönefeld sei. Er hatte zu nichts weniger die Absicht, als sich polizeilich anzumelden. Vorbei an Kunstwerken zweifelhafter Qualität schob er seinen Rollator auf den Eingang zu, der sich als eine Art Schleuse erwies. Die erste Tür schob sich automatisch auf und ging hinter ihm wieder zu. Nicht so die zweite Schiebetür. Sie blieb mit bedrohlicher Geste der Gefangennahme geschlossen. Da stand er nun in dem Glaskasten und es trat ein Moment verlegener Stille ein, denn die an einer Front sichtbare Dame in schwarzer Kleidung hatte erst noch anderes zu tun. Endlich verstand sie sich eine kleine Öffnung in Form eines flachen Rechtecks ein wenig anzuwinkeln.
„Was wollen Sie?“, herrschte sie den alten Mann an, „haben sie einen Termin?“
„Guten Tag, ich wollte mich eigentlich erst mal ein bisschen umsehen im Hause der Bürger und dann polizeilich anmelden“, versetzte Herr Henschke.
„Sie sind ja noch gar kein Bürger von Schönefeld, jedenfalls kenne ich Sie nicht“, gab die Dame ihre persönliche Bekanntschaft wohl mit allen der etwa 15 000 Schönefelder Großgemeindeinsassen zu erkennen.
„Das ist es ja gerade, ich will mich rasch anmelden. Es gibt doch hier sicher eine Meldestelle?“
„Die gibt es schon, aber seit Corona haben wir uns hier was ausgedacht, was sich so bewährt hat, dass wir daran festhalten.“
„Und was wäre das, wenn ich fragen darf? Sie sehen, ich halte mich an meinem Rollator fest.“
„Den können Sie getrost wieder rausschieben, denn erst müssen Sie über unsere Internetseite einen Termin beantragen. Dann dürfen Sie ihr Handy nicht vergessen, wenn Sie kommen, denn ich werde das genauestens kontrollieren.“
„???“
„Fahren sie getrost wieder nach Hause mit Ihrem Rollator. Es wird schon jemanden geben, der Ihnen da weiter hilft. Ich habe dafür keine Zeit.“

Und das schmale flache Rechteck schloss sich wieder endgültig und die erste Schleusentür schob sich auf. Die zweite war standhaft zugeblieben, sodass der zukünftige Schönefelder immer noch nicht wusste, wie es in seinem zukünftigen Rathaus überhaupt aussieht. Wehmütig dachte Herr Henschke an vergangene Zeiten zurück, wo man sogar einen Bürgermeister auf ein Wort treffen konnte. Dieser war ja gewählt und ein gewisser Rest von Bürgerverbundenheit hatte sich bei ihm auch über die Amtszeit bewahrt.

Zu Hause angekommen und noch mit dem Eindruck der Gefangennahme durch die „Schleuse“ und dem Vorbeigehen an einer unförmigen Skulptur, die wohl aus Faulheit des Künstlers weitgehend unbearbeitet geblieben war, wohl eine dicke Matrone darstellen sollte, aus deren Kopf noch eine Antenne ragte, die irgendwie albern wirkte, behelligte Herr Henschke seine Enkelin Emmi, um ihm bei der Terminvereinbarung zu helfen.

Emmi half wirklich. Die meisten Fragen waren einfach, aber am Captcha Code, der so gestaltet war, dass jede künstliche Intelligenz daran scheitern musste, scheiterte auch sie. Die komplizierten Zeichen waren einfach nicht zu erkennen. Sie gab auf.

Was blieb Herrn Hentschke, als sich noch mal ins Rathaus Schönefeld zu begeben. Die unförmige Skulptur beachtete er diesmal nicht, oder war sie sogar entfernt worden? Beide Schiebetüren öffneten sich diesmal und statt der missmutigen Schwarzen stand diesmal eine Frau in von Phantasie und Farben zeugender Kleidung, mit einem kleinen Nasenpiercing und einem hinreißenden Lächeln hinter dem Tresen. Herr Hentschke zückte das Handy, das er sich von Emmi geborgt hatte, aber die junge Frau winkte nur ab:

„Guten Tag. Lassen Sie nur, ich regle das für Sie“; sie tippte eine Nummer in ihr eigenes Telefon und sprach einige bestimmte Sätze. Dann sagte sie, wieder an Herrn Hentschke gewandt:
„Gehen sie nur zur Meldestelle im ersten Stock. Die haben dort nicht viel zu tun, weil es vielen so ging wie Ihnen und sie keinen Termin vereinbaren konnten. Jetzt weht hier ein anderer Wind. Sie werden so schnell mit Ihrem Anliegen fertig werden, dass sie sich erst danach Zeit werden nehmen können, auf den verschiedenen Etagen die Flugmodelle anzusehen. Leider hatte sich seit Corona hier der Schlendrian breitgemacht und die Kollegen waren der Meinung: Corona forever.“

Herr Hentschke erwachte erholt, denn das war ein wirklich guter Traum. Nicht „Corona forever“, sondern „forever young“.

CER 4.12.2025