Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Ein «bitterböser» Brief?

Ein «bitterböser» Brief?

so langsam erkenne ich den Ältesten des Rempelclans wieder, denn meine Ablehnung eines Mietvertrages war wohl etwas voreilig, wie mir überhaupt immer die Dinge ein wenig zu schnell von der Hand gehen und dann manchmal Tatsachen entstehen, mit denen außer mir kaum jemand etwas anfangen kann. Auf dem Balkonausbau höre ich die exotischen Vögel schreien und die Pferde schnaufen noch in ihrem Sommerquartier und sind noch nicht auf der Weide, ein Blick, den unser Vater immer so liebte und den ich gern für uns erhalten würde.

Gestern war hier sagenhafte Stille und nach den Bewegungen, die ich im Urlaub kennenlernte war das fast schon eine Grabesstille. Ich habe noch keinen von Vadders Verträgen in Augenschein genommen und wäre ich die Tage nach seinem Tod hier gewesen, hätte ich wahrscheinlich einen Eimer Kirschen gepflückt oder hätte mich einfach nur rauchend abgesondert. Ein Schälchen Kirschen hätte seinen Altar, den Silke am Donnerstag mit Steffi aufgebaut hatte, ein wenig ergänzt. Hinter vielen der Querelen, die wir in den vergangenen zwei Wochen hatten, vermute ich einfach unterschiedliche Prioritätensetzungen. Dringende Fragen wurden immer wieder vertagt und stattdessen zuerst einmal einigen Dutzend Euros nachgegangen, was wir alle eigentlich nicht nötig haben.

Du hast jetzt so schöne Bilder angeboten von unserem Vater und ich habe auch mein Votum abgegeben. Er war ja einer von den ganz Großen, ein beredter Schweiger aus gutem Grund, und weil er so vieles nicht mehr sagen konnte, was mir bekannt ist, sagt es vielleicht das verschwommene Bild 1, zumal der erste Gedanke sich oft als der beste erweist.

Du wirst heute 70 und vorgestern hatte ich ein ebenso erstaunliches wie besorgniserregendes Gespräch, mit einem, der fast auf den Tag vier Jahre älter ist, sehr viel über mein Umfeld aus früheren Zeiten weiß und nach einer kurzen Begegnung mit Doreén, wo wir uns nicht mal vorgestellt hatten, nicht nur ihren Namen weiß, sondern auch ihre Wohnadresse und uns dort persönlich aufsuchte, weil wir angeblich verabredet gewesen waren. Ich suchte ihn am gleichen Abend auf. Er war scheinbar sehr offen, nur seinen Informationsstand bez. Doreéns konnte er nicht erklären, sondern überging diesen Punkt. Es gehen hier um und im Haus so viele Wunderdinge vor, dass ich euch gern um mich gehabt hätte, wozu ich ja auch eingeladen hatte. Keiner ist gekommen und ich allein bin nun in den Besitz einer weiteren Wahrheit gekommen, die mir nur der Tod nehmen kann. Das hatte ich ja schon in meinen Kolumnen beschrieben, dass er über erhebliche Mittel verfügte, dem Vernehmen nach, aber daraus kann natürlich jeder machen, was er will. Unser Vater hat mir gegenüber angedeutet, dass diese Mittel auf seinen sehnlichsten Wunsch verwendet werden sollten, nämlich einer stillen, gründlichen und wohlüberlegten unblutigen Revolution, die so lange andauern könnte, dass nicht mal Dein und mein Leben zusammen ausreichen würden, um deren glückliche Vollendung zu erleben. Zunächst muss man sich wohl der moralischen Werte bewusst werden, die einer Überarbeitung bedürfen, denn diese Revolution fängt zunächst bei jedem selber an. Man muss sich also überlegen, ob man gedankenlos, unzuverlässig oder unordentlich ist, wenn diese Unordnung nicht dazu dient, sich eine Privatsphäre zu wahren. Auch auf Xabgier und Xerzlosigkeit muss man sich zunächst selbst abklopfen. Kann man bez. alldessen eine positive Bilanz ziehen, wobei man durchaus auch andere fragen kann, wie einem dies gelungen ist, so beginnt zunächst etwas wie eine Wiederbelebung in einem zu keimen. Man wird eins mit den Dingen, liebt auch sein Auto wieder ganz anders, überlegt sich, ob man eine Mücke erschlägt oder nur wegwedelt, dass sie sich eines besseren besinnen kann, und wird, wieder einmal zu Fuß gehend, vieler Dinge gewahr, die man sonst übersehen hätte. Ja, es sei auch gesagt, dass man auch die Gefahren dann nicht übersehen kann, die dieser gründlichsten und humanistischsten Revolution von verschiedenen Seiten drohen, die nicht weniger mit einem im Schilde führen, als einen krank zu machen, für verrückt zu erklären, einen erleuchteten Geist, den man vielleicht hat, mittels CT und anderer zerstörerischer Maßnahmen zunichte werden zu lassen, obwohl diese Revolution im Grunde das Glück aller verheißt, selbst der Egoisten und Geldscheffler.

Dein Christian in Zeuthen, den 19./20.7.2020