Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Woran denn nun zerbrochen?

Auch dieses Buch eine Empfehlung, diesmal von Jane. Ich hatte mir „Rummelplatz“ von Werner Bräunig, dem jungverstorbenen DDR Autor, besorgt und war, wie von den meisten Büchern, zumal noch umfangreichen, erst gar nicht erbaut, sagte das auch Jane, aber sie entließ mich nicht aus der Verpflichtung, bis dass ich den Kelch des Lesens bis zur Neige geleert haben würde. Da hatte er es also auf über sechshundert Seiten gebracht und hat dann druntergeschrieben: Ende des ersten Bandes. Also muss er die Absicht gehabt haben, seinen Lebensroman noch weiterzuführen, dieser erste Band handelt von nur vier Jahren DDR Geschichte, einige diffuse Szenen spielen auch im Westen, mit denen er nun gleich gar nicht zurechtkommt.

Als Bräunig das schrieb, war er etwa 30 und hatte ein bewegtes Leben hinter sich, das der Authentizität des Buches sehr zuträglich war, obwohl er auf konkrete Beschreibungen nicht angewiesen ist, er kann wie ein begnadeter Schriftsteller auch seitenlang fabulieren, Naturerscheinungen verherrlichen oder manchmal auch politisieren. Eigentlich entsprach das genau dem Bitterfelder Weg, den er 1959 mit einläuten half mit dem Aufruf: „Greif zur Feder, Kumpel!“ Aber diese Authentizität brachte eben Dinge zutage, die selbst der inzwischen ausgegebenen Devise von der Verbindung von Leben und Kunst zu sehr auf den Senkel gingen. Es gab eine Diskussion um den Vorabdruck eines Kapitels seines Romans, die letztlich darin endete, dass er nicht zu retten war für eine Publikation, in den ganzen DDR Zeiten nicht, sondern sogar erst 2007 erschien, als nun wirklich alles schon gegessen war.

Spielort des Romans ist die Wismut, einem Staat im Staate, der der Sowjetunion die Rohstoffe für das Atomprogramm lieferte, den Abbau der Pechblendevorkommen im Erzgebirge, aus denen sich spaltbares Uran 235 gewinnen ließ. Dort siedelt er eine Handvoll Charaktere an, die dieser schweren Arbeit unter Tage frönen, die Flüchtlinge, Draufgänger und verhinderte Studenten sind und denen von der sowjetischen Verwaltung die Normen vorgegeben werden, im von Sowjetsoldaten bewachten Sperrgebiet. Dort ist auch der integre Kommunist Hermann Fischer, der verwitwet ist und mit seiner Tochter Ruth zusammenlebt, die das Bindeglied zum zweiten Handlungsort, einer Papierfabrik, herstellt, wo sie tätig ist und eines Tages die Idee hat, dass auch die körperlich schwere und verantwortungsvolle Arbeit eines Maschinenführers von einer Frau ausgeführt werden könnte. Man muss sich schon in der Terminologie des Bergbaus auskennen und wünschte sich eine Zeichnung von der Papiermaschine, um die jeweiligen detaillierten Beschreibungen nachvollziehen zu können. In der eigenen Identifikation kann sich der Autor nicht recht festlegen und scheint zu schwanken zwischen dem draufgängerischen Peter Loose und dem sich wegen falscher sozialer Herkunft rehabilitierenden und zum Studium qualifizierenden Christian Kleinschmidt. Peter Loose macht dann auch fast alles durch, was Bräunig selbst erlebte, bis hin zur einigermaßen ungerechtfertigten und überzogenen Gefängnishaft. Christian Kleinschmidt steht eher für seine spätere eigene akademische Laufbahn, und man darf ja auch nicht vergessen, dass Bildungsaneignung bis auf den heutigen Tag für die ideale Lebensform gehalten wird, weshalb dann immer recht wenige Leute übrigbleiben für die schlechtbezahlten Knochenjobs.

In der Zeche geht alles mehr oder weniger seinen Gang und die Helden schlagen nur in der Freizeit mit Saufgelagen und Kraftproben über die Stränge. Nachvollziehbarer sind die politischen Vorgänge in der Papierfabrik, wo dann zum Beispiel die komplette Betriebsleitung in den Westen türmt, was einen sehr an die Zeiten nach der Wende erinnert, wo ähnliche Mechanismen in Gang kamen. Sehr gut gefallen kann einem auch das Portrait des Fachmannes Dr. Jungandres, der sich nicht absetzt, aber auch keinerlei Affinität zur sozialismusgeschwängerten Politik hat. Von diesen loyalen Fachmännern hätte es wahrscheinlich mehr geben müssen. Dieses ganze Misstrauen und der Schematismus der Jahre von der Republikgründung bis zum 17. Juni 1953 kommt sehr lebendig zum Ausdruck und natürlich war das auch noch eine Zeit, wo es das Ziel war, möglichst viele Menschen zu dirigieren und diese als Arbeitskraft unentbehrlich waren, während man sich heute ganz gut vorstellen kann, mit möglichst wenigen auszukommen und man den Überzähligen noch Hartz IV bezahlen muss.

Der Titel Rummelplatz wurde dem Vernehmen nach vom Publikum geprägt, wohl wegen des Vorabdrucks eines Kapitels, das unter anderem davon handelt, wie die Kumpels sturzbesoffen einen Rummelplatz unsicher machen und den Rekord an der Überschlagschaukel brechen wollen. Bei der Sichtung des Gesamtwerkes zeigt sich diese buntschillernde Eigenschaft aber auch inhaltlich und formell. Es wechseln instinktbetonte und drastische Szenen mit dem gelegentlichen Aufscheinen eines Ideals ab, das dann durchaus ein sozialistisches ist. Für besonders gelungen und als die eigentliche Perle des Romans kam mir die Liebesbeziehung zwischen Ruth, der Kommunistentochter, und Nickel, dem jungen Personalleiter in der Papierfabrik vor. Sie entwickelt sich ganz zaghaft und bringt dann doch eine solche Veränderung in deren Leben, dass die hagestolze Ruth sichtlich aufblüht, zur Freude aller in ihrer Umgebung. Nickel, der natürlich Genosse ist, muss dann auf einen vierwöchigen Lehrgang und ist nicht in der Lage, Persönliches schriftlich auszudrücken, eben jene Unbeholfenheit, die doch auch zu einem Gutteil auf den kulturellen Verlust durch Dogma- und Schematismus zurückzuführen war, der in dieser Zeit herrschte. Ruth geht es zunächst genauso, aber ihr gelingt es, sich von dieser Fessel zu befreien und einfach frei zu schreiben, was ihre Gefühle und Erlebnisse waren. Trotzdem lauert sich der Autor in diesem schönen Belang schon selber auf und will wieder zerstören, was er da beinahe Ergreifendes geschaffen hatte. Es soll wohl seine Absicht gewesen sein, beide erst heiraten zu lassen, um sich dann eine Scheidung auszudenken, aber in der vorliegenden Fassung gibt es nur ein schlichtes Zerwürfnis an der Frage, ob sie von ihrem Arbeitsplatz weg eine Funktionärslaufbahn einschlagen soll, was sie idealtypischer Weise aber strikt ablehnt und dann zutage kommt, dass diese schöne Liebe eben auch nur auf Sand gebaut war.

Vielleicht hatte sich Bräunig auch selbst in die Gestalt verliebt. Jedenfalls kommt er als Christian, der inzwischen studieren darf und den Studentensommer noch mal in der Wismut verbringt, dann noch mal in das Haus des Kommunisten Fischer, um mit diesem eine geniale Zeichnung und Berechnungen auszuführen, und da ist auch der Nickel zugegen, der sich nie die Sympathie des zukünftigen Schwiegervaters hatte erwerben können, und Nickel ist nur noch ein gerade so geduldetes Möbelstück, das sang und klanglos abzutreten hat, während Ruth ihr schönes Auge auf die anderen beiden Männer heftet, deren einer ihr Vater ist und der andere eben Christian Kleinschmidt, das eine alter Ego des Autors, beide intensiv beschäftigt mit utopischer wissenschaftlicher Tätigkeit eines Selbstretters für Bergleute, wo allerlei Zeichnungen zu fertigen sind und Berechnungen anzustellen. Dieser Christian, mein Namensvetter und Professorensohn wie ich, hat ansonsten keinerlei Beziehung zum weiblichen Geschlecht. Dieses Feld, das Bräunig wohl auch ausgiebig beackert hat, überlässt er eben außer dieses hoffnungsvollen Blickkontaktes des Christian eben ausschließlich dem anderen alter Ego, dem Peter Loose, der zu dieser Zeit im Knast weilt, den Bräunig nun auch aus eigener Erfahrung kennt und er selbst hatte ja auch zwei Frauen und fünf Kinder, soll allerdings ein schmächtiger Typ gewesen sein, also körperlich dem Christian ähnlicher als dem Peter Loose. Peter hat immer mal Liebschaften und während seiner jahrelangen Haftzeit auch eine treue weibliche Seele, die daher ausnahmsweise für den Autor tabu ist, auf die er kein eigenes Auge zu werfen wagt.
Das Finale ist dann der siebzehnte Juni 1953, als Fischer und Christian nichtsahnend eine Dienstreise ins rumorende Halle machen, in die Unruhen verwickelt werden und Hermann Fischer dann letztendlich ums Leben kommt. Als sie attackiert werden, wünscht sich Christian den Superman Peter Loose herbei, der sie sicherlich rausgehauen hätte, denn dieser stellt eben das Ideal des ehrlichen Raufbolds dar, einer Rolle, in der sich auch der Autor ganz gut gefallen hätte.

Der Vorzeigeschreibendearbeiter Werner Bräunig, der dann auch streckenweise am Literaturinstitut lehrte, kann sich nicht entschließen, seinen Roman so zu glätten, dass er publikationsfähig wird, was dann Jahrzehnte später dann doch wohlmeinende Seelen für gegeben halten, diesen Roman sogar als eine Entdeckung herzeigen. Bräunig konnte sich auch nicht entschließen, einen zweiten und dritten Band zu schreiben, wie es sein angenommenes Vorhaben war. Man kann nun munkeln, ob diese Form für ihn sowieso eine Nummer zu groß gewesen wäre, oder ob er an den Verhältnissen zerbrochen ist. Er soll dann zum Schluss in einer Einraumwohnung in Halle Neustadt gehaust haben und sich zu Tode gesoffen haben. Er war sicher kein Dissident oder Widerständler, was doch auch ein Attribut ist, das man kaum einem zuschreiben kann bei einer Sache, die an sich gut war. Qualität war eigentlich nur hervorzubringen, wenn man diese großartige Vision des Sozialismus auch unterstützte, denn er war sicher keiner von denen, die meinten, die geistige Elite für sich gepachtet zu haben und sich berufen fühlten, diese zu repräsentieren, wie manche bestallte oder unbestallte Intellektuelle jener Zeit. Bräunig ist nur 42 geworden und sicher ein gebrochener Mann gewesen, ob nun einfach alkoholkrank oder an überzogener Anerkennung erst genährt und dann fallengelassen, ob nun Chronist einer einfach unzulänglichen Realität, die den Anspruch erhob auf dem richtigen Weg gewesen zu sein, es aber nicht war, das muss nun nicht unbedingt entschieden sein. Immerhin ist der Rummelplatz ein ehrliches Zeitdokument, das einen wichtigen Abschnitt moderner deutscher Geschichte in Szene setzte und belegt zumindest, dass die Idee, dass im Grunde jeder schreiben kann, was er auch selbst am Beispiel der liebesbriefverfassenden Ruth darstellt, ohne dass wir dieses Produkt je lesen könnten, denn er hat es uns nicht ausgedacht. Aber eine Vorstellung davon vermitteln konnte er schon und die Liebe erhebt uns eben über dem Alltag, der von ihr durchwoben sein kann, wenn man Glück hat.
Als Ideal reicht es vollkommen, wenn man einer ehrlichen Arbeit nachgeht und weiß, dass ein höher Hinaus eigentlich auch immer einen Abschied von diesem Ideal bedeutet und vielleicht eher ein Niedergang sein kann. Einen weiteren Sinn kann es eigentlich nur in der Liebe geben. Sie zu finden, ist nicht schwer, wenn man einen Blick dafür hat.

C.R. 20.5.2018 www.gedichtladen.de