Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Die Wahlverwandtschaften – eine Annäherung

Die Wahlverwandtschaften – eine Annäherung

Es galt zu seiner Zeit als skandalös, dass Menschen ihren Neigungen, ihrer Liebe folgten, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Bande. Goethes Frau, Christiane, die ihn vor den heranrückenden Franzosen bewahrt hatte und daraufhin vom „Bettschatz“ zur Gattin gemacht wurde, verabscheute den Roman. Die Chemie wird herangezogen, die Chemiker als Scheidekünstler, worauf die Dame des Hauses, Charlotte, einwendet, dass das Verbinden wohl die größere Kunst sein möge, was sich ja denn auch die Synthetiker zu Herzen nahmen und uns so etwas wie Plastik bescherten.

Goethe redet nicht der ausschweifenden, sinnlichen Liebe, alles bewegt sich im Anständigen, aber dennoch geht es um Liebesbeziehungen, die auf der gegenseitigen Gewährung von Freiheiten und einer magischen Verbundenheit fußen. Sich gegenseitig derart angenehm zu empfinden und zusammenzustimmen, ist ihm Anlass genug, eine starke Liebe darzustellen, die bis in den Tod reicht.

So auf die äußerlich sichtbaren Merkmale beschränkt, bleibt viel Raum, sich auszumalen, wie die Liebenden, wenn sie sie nur gehabt hätten, in den innigsten Stunden gefühlt haben mögen.

Die junge Dame Ottilie, die geradewegs aus dem Pensionat kommt, also blutjung sein muss und in die sich der Hausherr, Eduard, verliebt, war nicht gerade ein geistiger und gesellschaftlicher Überflieger und da deren Liebe im Roman gar nicht recht zum Zuge kommt, kann man sich auch schwer vorstellen, wo sie, außer von äußeren Reizen, wohl hergekommen sein mag. Auch der Hausherr glänzt nicht gerade durch irgendwelche einzigartigen Eigenschaften und hält sich den halben Roman lang überhaupt fern. Das geht bei ihm so weit, dass er seine seelischen Verwicklungen durch einen Freund geregelt wissen will und sich selbst weitgehend fernhält. Die ganze Entscheidung lastet auf seinem Freund, dem Hauptmann und auf den beiden Frauen.

Ich lese so etwas immer, um möglichst auch dem Autor gerecht zu werden, der mit seinen 60 Jahren schon zu den erfahrenen zu rechnen ist und ein recht kunstvolles Gewebe da vorlegt. Man hat seine Freude an den Dialogen und überhaupt an der altertümlichen Sprache. Die Charaktere sind an gegenseitiger Rücksicht und Feingefühl kaum zu überbieten. Auch lässt es Goethe nicht an schicksals-, also romanhaften Wendungen fehlen, die wir doch aus seltenen Momenten aus dem eigenen Leben kennenlernten, möglichst ohne dabei in Aberglauben zu verfallen.

Urteilen möchte man da nicht. Man möchte sich eher in Ehrfurcht verneigen vor dem den Frauen zugetanen Dichter Goethe.

Aber auf ein Detail möchte ich noch besonders verweisen, und das ist die Pädagogik. Wie in einem guten Kriminalroman, wo dann eine Nebenfigur, der Gärtner, dann der Mörder ist, ist es auch eine der Nebengestalten und dessen Wirken, die mich bei aller äußeren Dramatik ein Juwel deuchte. Es ist dies nämlich der Gehülfe des Pensionats, dessen Anschauungen man so fruchtbar auf die heutige Zeit beziehen kann. Er umreißt nicht nur die Unterschiede in der Erziehung der Knaben, die zum Dienen zu erziehen seien, und Mädchen, die zu Müttern herangebildet werden sollten – eine Vorstellung, bei der sich heutigen Gender“forschern“ die Haare sträuben, die alles gleichhaben wollen, sondern er reißt auch die Thematik an, wie man sich zum Fremden verhalten sollte und nach heute gültigen Maßstäben als Rassist eingestuft sich finden würde. So sagt der Gehülfe:

Man frage sich, ob nicht ein jedes fremde, aus seiner Umgebung gerissene Geschöpf einen gewissen ängstlichen Eindruck auf uns macht, der nur durch Gewohnheit abgestumpft wird. Es gehört schon ein buntes, geräuschvolles Leben dazu, um Affen, Papageien und Mohren um sich zu ertragen.

Und allen, die ihr Glück in der Fremde suchen wollen, gibt er zu bedenken:

Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiss in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.

Das alles kann man als unmodern einstufen und Goethes Zeitläuften geschuldet, aber ich nehme das für bare Münze.

CER in Zeuthen, den 31.10.2025