Wegbeschreibung
DIE VIA REGIA
führt durch ganz Europa. Startet man in Santiago de Compostela, führt er geradezu in die jetzigen Kriegsgebiete. Wessen man auf dem Jakobsweg begegnet, den man gewöhnlich im Frankenland auf sich nimmt, um zu der heiligen Stätte in Spanien zu gelangen, ist hinreichend beschrieben. Doch was erwartet einen, wenn man den Rückweg einschlägt und die VIA REGIA weiter und weiter geht? Am Ende wohl, zwei Reiche durchschritten, die bisher friedlich widerstritten, aber man den Bogen spannte und spannte, bis es unerträglich ward. Und es ist Krieg.
Wenn sich nun einer auf den Weg machte, der nicht nur von Zwölfen begleitet ist, auch nicht von 1500, wie Napoléon, als dieser am 1. März 1815 von Elba kommend in Golfe Juan nahe Antibes seinen Weg Richtung Paris nahm, um noch einmal 100 jours zu regieren, dann wäre der eine der geistliche und der andere der zeitliche. Seinen Weg also nähme auf der VIA REGIA, die mit der VIA IMPERIA ein verschlungenes Kreuz bildet, dessen eindeutiger Kreuzungspunkt Leipzig ist, das 1813 und im Zweiten selbst Kriegsschauplatz war und 1989 zur Heldenstadt wurde.
Sicher war der Imperator auch ein Held, als er mit einer stetig wachsenden Armee am 7. März auf dem Weg nach Paris bei Laffrey, kurz vor Grenoble, auf die königlichen Truppen stieß, seinen grauen Feldmantel vor den schussbereiten Truppen öffnete, sich darbot – und keiner schoss, sondern sie liefen zu ihm über. Als es dann im Eiltempo auf Paris ging, war Louis XVIII. schon geflohen, sodass alles friedlich vonstatten ging.
Der andere ging seinen Leidensweg ganz für sich, von einem verraten, von allen verlassen und verleugnet. Als diese Gänge, auch zum Imperator, dann später an den einsichtigen Aposteln waren, waren sie ebenfalls auf sich gestellt und Jahrhunderte sollte dieser Leidensweg der Christen dauern.
Wenn nun diese einzelnen oder locker gruppierten Menschen, Untertanen mögen sie sein oder sich mündige Bürger nennen, endlich in LIPSIA ankommen, haben sie die Wahl zwischen drei Wegen, wenn man der Rückweg mal außeracht lässt. Man könnte die VIA IMPERIA nach Stettin einschlagen und ein bisschen im Oderhaff angeln, man könnte die VIA IMPERIA in Richtung Rom wählen, um die vielen Touristenattraktionen, wie die größtenteils umgestürzten Säulen des Forum Romanum zu besichtigen und unterwegs, bei einem Abstecher nach Venedig, dort noch ein teures Eis essen, oder man geht die VIA REGIA weiter. Wir wollen mal vom dritten ausgehen, da Imperium immer ein bisschen abstößt, auch wenn dann noch mal in Polen eine schwere Entscheidung zu fällen sein wird: Ob man nämlich die VIA REGIA LUSATIAE SUPERIORIS nimmt, die nach Kiew führt, und ein bisschen mit russischen Panzern auf beiden Seiten des Bruderkrieges Bekanntschaft macht, oder auf der VIA REGIA bleibt und dieser bis Moskau folgt. Dort könnte man vielleicht ein bisschen mit Kerzen und Händehalten operieren oder etwas skandieren.
Nun bringt es eine Wanderschaft mit sich, die sehr gemächlich vonstatten geht, wie wir es von den Jakobswegbeschreibungen kennen, dass man nachdenkt, weder grübelt noch Befürchtungen hegt, sondern im besten Sinne kontempliert. Und man trifft mal diesen mal jenen.
Dann kommt man an einem Ort vorbei, der heißt Jahnishausen. Der Park, einem verblichenen König geweiht, der seit fast 150 Jahre in den ewigen Jagdgründen weilt, ist frisch und sinnig neugestaltet. Das Schloss, nicht gerade ein Kleinod, von einer Gesellschaft betrieben und aus dem Dornröschenschlaf erweckt, namens Lebenstraum. Man wird auch eine Bibliothek finden und eine weitere Gesellschaft, die sich Accademia Dantesca Jahnishausen nennt. Man wird sich vielleicht der göttlichen Komödie erinnern, die Dante Alighieri verfasste und der dieser verblichene König Johann so zugeneigt war als er sie in Italien entdeckte, dass er, gerade mal so des Italienischen mächtig, eine beachtliche Übersetzung davon verfertigte. Eines der anderen Werke Dantes kann er nicht gelesen haben, denn es stand bis 1881 auf dem Index. Es ist dies die Monarchia.
GEHORSAM
Der Wanderer, mit noch nicht ganz bestimmtem Ziel, aber eben auch nicht auf langes Verweilen eingestellt, lässt sich rasch drei Sätze sagen, die den Inhalt der Monarchia anbelangen:
1. Die Monarchie, am besten Weltmonarchie, ist die vorzüglichste Variante
2. Das römische Imperium ist von Rechts wegen Beherrscher der Welt
3. Der Imperator ist nicht dem Papst, sondern Gott direkt unterstellt
Nun begab es sich aber, dass es bereits Herbst geworden war und der rechte Arm des Kreuzes der VIAS noch länger schien als die anderen, dass es angezeigt schien, den Winter über zu verweilen und seinen und der anderen Lebenstraum noch etwas aufzuschieben, wie doch auch der oben erwähnte Imperator für seine Rückkunft den Frühling gewählt und er doch ebenfalls missliche Erfahrungen mit dem russischen Winter hinter sich hatte.
Eine Monarchie schien unserem Wanderer, selbst in Anbetracht der wiederhergestellten Anmut des Schlossparks nicht besonders erstrebenswert und es war auch gerade eine Zeit, wo die britische Königin von uns gegangen war und man drauf und dran war, deren Nachfolger die Ohren abzuschneiden, nicht nur, weil sie recht abstehend waren, sondern weil er sich unter anderem dadurch unmöglich gemacht hatte, indem er seiner Buhlerin zuflüsterte: „VOLO AUTEM VOS TAMPON.“ Die Güter der Königin der Herzen, die dessen rechtmäßige Gattin war und an ihm verzweifelte und ums Leben kam, wurden auf jene übertragen und nicht wenige Briten meinten, dass nun der Antichrist die Herrschaft über das Königreich eingenommen hat.
Vom römischen Reich konnte man nur noch in Geschichtsbüchern lesen, sich an den PAX AUGUSTA gerade noch erinnern, aber das Recht schien von den Römern eigens dazu erfunden worden zu sein, um sich geschickt rechtfertigen zu können vor der Welt.
Der Papst, nun beschäftigt mit Kindesmissbrauch und der misslichen Frage, ob Frauen auch PriesterInnen sein können, scheint als Befehlshaber der Regierenden nicht mehr so recht in Frage zu kommen.
Also lohne es kaum, sich mit diesem Kunstwerk zu beschäftigen.
Aber es liegt ein verborgener Schatz in diesem Werk. Es besagt nämlich auch, dass die Natur die Menschheit hervorbrachte, in ihrer ganzen Vielheit, um ihr Ziel erreichen zu können. Jeder Mensch tut eben gut daran, sich als Diener der Natur zu verstehen und seinen Beitrag, sei er auch noch so unbedeutend, zu leisten. Den Willen und das Ziel der Natur zu erraten, wird die Menschheit alle Kräfte aufbieten müssen.
Nun war der Herbst aber lang und der Winter sollte noch viel länger dauern. Schon diesen letzten Sommertag fror der Wanderer und noch mehr zitterte er bei der Aussicht, dass der russische Monarch den Gashahn abgedreht hat, und das auf ausdrücklichen Wunsch der охлократия selbst, in der unser Wanderer lebte.
Vielleicht also doch die VIA REGIA bis zuende gehen und beim russischen Monarchen in Moskau Fürbitte leisten? „Bei so vielen Fragen, vielleicht versuchen Sie es doch mal mit Dante Alighieri?“, flüstert es da neben ihm auf dem kalten Bibliotheksstuhl. „Im Übrigen, wenn Sie sich dem Царевич unterwerfen wollen, so könnte das nach unserem verehrten Dante genau das Richtige sein, wenn dies Ihnen überhaupt geziemt. Jetzt sitzen Sie vor diesem Büchlein, fein in Latein gesetzt, kommentiert und für Sie ins Deutsche übertragen. Meinen Sie nicht, dass es an diesem Ort, immerhin einer Accademia Dantesca vor allem anstünde, die Wartezeit nicht mit Barmen zu verbringen, sondern dies von Anfang bis Ende durchzulesen? Vielleicht die Kommentare nicht gerade, Sie sollen Ihren eigenen Kopf behalten.“ „Gehorsamster Diener“, sagte da der Wanderer und studierte, und je länger er studierte, desto heimischer wurde ihm. Was dabei herauskam, steht auf einem anderen Blatt.
So weit, so gut. Es nahte der Frühling und die Entscheidung für den im Weiteren einzuschlagenden Weg stand an. Er hatte auch ein paar Brocken Latein aufgefasst und sah sich das ITINERAR noch mal an. VIA REGIA ist ja der Königsweg, den er und einige andere bis hierher gegangen waren, aber was zum Teufel war die VIA REGIA LUSATIAE SUPERIORIS ?
Ist damit vielleicht Lusitanien in Portugal gemeint?
Da flüstert es wieder neben ihm: „Wenn Sie diesen Weg gehen, nehmen Sie bis nach Kiew immer ein Stück Heimat mit, hier aus unserem REGNUM GERMANICUM.“ „Das hört sich ein bisschen an, wie Deutschland steht im Regen.“ „Wenn dem mal so wäre, die Region, die Sie auf diesem Weg mitnehmen werden, leidet eher am Mangel desselben.“ „Aber die Panzer?“ „Mit denen werden Sie schon fertig, denken Sie an die Aufnahme von der Berliner Mauer, dem NVA Soldaten und dem amerikanischen Panzer.“ „Ja, der stoppte, aber das sind Russen.“ „Meinen Sie denn, dass ein Imperium schlechter ist als das andere?“ „Na ja, man kann es ja mal versuchen. Aber was ist denn nun das Stück Heimat, das ich mit dorthinnehme?“ „Dies ist, mein Herr, der Königsweg der Oberlausitz.“ …
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