Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Dritter Traum

Dritter Traum

Ich hatte eigentlich zu tun. Ich betrieb Studien zu Wohnprojekten, die nicht selten auch ökologische Aspekte beinhalteten. Diese Wege führten mich auch bis in die ehemalige Sowjetunion. Was mich dort faszinierte, dass dort nicht nur die Pflanzenkunde und Tierzucht betrieben wurde, sondern in aller Gottesfurcht (denn Gott ist ja Russe) das, was wir mit Recht Wissenschaft nennen können. Wieder verpasste ich einige Termine und kehrte verspätet in die Heimat zurück. Das trug mir nicht nur die Kritik meiner Verlobten ein, sondern auch die Geheimdienste interessierten sich dafür, ob die ambitioniert forschenden russischen Wohngemeinschaften nicht etwa auch an einer neuen Wunderwaffe arbeiteten. Dass ich meine Rückreise mehrfach verschoben hatte und die russische Sprache so liebe, rückte mich in den Verdacht der verschwiegenen Mitwisserschaft. Auf jeden Fall machte man mir das Leben hintenrum etwas schwer, fälschte meine Blutwerte, sodass ich der Meinung hätte sein müssen, wenn ich nur etwas davon verstünde und etwas drauf gäbe, dass mir ein baldiger, qualvoller Tod bevorsteht.

Ich hatte bei meinen Reisen in russischen Gefilden auch einen Deutschen getroffen, Philipp Zaulek, den ich noch von früher kannte und der seinen Beitrag zur dortigen Wohngmeinschaft leistete, indem er ganz ohne Computer auf die Signale des auf dem Grundstück befindlichen 35 m Radioteleskops lauschte, in der Hoffnung, irgendeine Nachricht der allgegenwärtigen kosmischen Intelligenz zu entschlüsseln, wie es Mathematikern ansteht. Da er auch ein Freund meines Bruders Thomas war, erzählte ich diesem davon. Natürlich hatte ich im Old Germany dann auch an einem den russischen Vorbildern ähnlichem Wohnprojekt teil, aber eben ohne diesen Forschungsaspekt bislang. Thomas sah das mit Skepsis, zumal sich unser Wohnprojekt um ein Haus gruppierte, das die Geschwister hatten teuer verkaufen wollen, das das Haus ist, in dem diese grundstürzenden Träume geträumt werden, was allerdings nicht jedermann und auch nicht Thomas, der jetzt mal zum Helfen vorbeigekommen war, gegeben war, sondern nur dem Nachkommen des Schafopas, der jeden Abend, wenn das Fußballspiel zufriedenstellend ausgefallen war, erst das selbstgespielte und später im Fernsehen, der also gut einschlafen konnte, ohne vorher Schafe zählen zu müssen, denn diese trug er schon im Namen, den ihm seine älteste Urenkelin mal zu seinem Unmut verpasst hatte. Dann passierte es, dass das Traumhaus auch auf ihn wirkte und er den einen oder anderen sehr schönen Traum hatte, was er für das schönste im Leben hielt, die aber nicht an das herankommen, was mir so schwitzend und halb wach an Traum manchmal wird.

Thomas hatte sich also meine russischen Eindrücke mit nicht gerade großem Interesse angehört, aber war immer noch im tiefsten Innern Mathematiker genug, um von Gregor Chaitin gehört zu haben, der bewiesen hatte, dass man von einer endlichen, und was ist nicht eben endlich hier auf Erden, dass man nicht sagen könne, ob dieser Nachricht ein Code zugrunde liegt. Irgendwie stellt Thomas auch ganz schön noch was auf die Beine und vom Bahnsteig siebeneinhalb gehen die Züge direkt in SEIN Traumland, in das er mich einlud. Zunächst bekam ich es mit einem Mitarbeiter zu tun, der an einem Gerät saß, das mit einem Supercomputer verbunden war und gleichmäßig vor sich hinpiepte. Das kam offenbar von einem Rechteckgenerator mit Trägerfrequenz. Es war klar, dass er auf dem Holzweg war und ich sagte es ihm. Dann schloss ich die Frage an, ob er das Buch Cosmic Code kenne. Nach einer Verlegenheitspause, bekam ich die Antwort, natürlich, eine brandneue Ausgabe, die sehr teuer war. Brandneu gibt es die gar nicht, gab ich zurück, und die gebrauchten Ausgaben sind auch schon teuer genug. Da fing der junge Kerl doch glatt an zu streiten mit mir und ich ließ ihn mit seinem sinnlosen Frequenzgenerator allein.

Nach dieser virtuellen Reise nach Hogwards war mir eher nach Familienausflug und wir, die Rempels und vielleicht sogar die Schröders, die sowas gern immer wieder anberaumten, gelangten über eine malerische Brücke an einen Abenteuerspielplatz, der sich an die Brückenkonstruktion anschmiegte und ich sogleich für alle erkundete. Er überragte die Brücke bei weitem und dann wurde, der Schröderschen Tradition gemäß, Aufstellung zum Familienfoto genommen. Das war dann eine ganze Horde von Erwachsenen und Kindern. Ich hatte mich erst abseits gehalten, entschloss mich aber dann doch, mich nach Fußballermanier auf einen Ellenbogen gestützt davorzulegen, allerdings mit geschlossen gehaltenen Augen, in Erwartung eines Blitzlichts und wie es mir meinem baldigen Dahinscheiden gemäß erschien. Ein richtiger Reporter interviewte die Stehenden und ich konnte nicht beurteilen, ob er mir zum Schluss auch noch das Mikro vor den Mund gehalten hat, sagte aufs Gratewohl, dass die Atome Wesen seien, aus denen ja auch wir zur Gänze bestehen, und sie viel weniger und viel mehr als wir können. Eigentlich könnten sie nur da sein und ebenso gut verschwinden, was sie aber zu vermeiden wissen und ihre Disziplin aufrechterhalten, weil sie uns und unsere Kunst lieben. Wir müssten daher alles zur Kunst machen, unsere Seele hineinlegen, allein schon, um ihnen, den Atomen und Elektronen weiter zu gefallen und auch mit uns selbst nicht zu hadern. Ich weiß bis heute nicht, ob diese Sätze, die im wirklichen Traum noch weitaus schlüssiger waren, nun bewahrt wurden oder nicht. Sonst nehme man diesen schwachen Abglanz hier für alles, was es zu merken gibt.

Es ging nun also ans Lehren und es waren nicht Menschen, denen ich die Geheimnisse offenbarte, sondern Puppen, die ihr Gesicht jeweils nahe an meines heranführten, ihre Knopfaugen und Gesichtszüge, die ja immer nur die vom Puppenmacher kunstvoll ersonnene Emotion verrieten und festgelegt blieben. Nach einer Weile solcher Puppenbelehrungsereignisse kam ein besonders groteskes Gesicht einer Stoffpuppe vor meines und das kleine Kringelohr taugte bestimmt nicht zum Hören im geläufigen Sinne. Es schien mir zum Sprechen, wie der Mathematiker Bernhard Riemann in seinen letzten Lebensjahren angenommen hatte, so gut geeignet wie wohl auch zum Hören. Ich flüsterte: „Wir werden das Geheimnis der Fusion entschlüsseln und davon als Kunst Gebrauch machen oder auch das sein lassen und uns wie Urmenschen in Felle notdürftig gehüllt an offenen Feuern wärmen. Wir werden mit den Planeten….“ Es überwältigte mich eine gehobene Stimmung, was die Menschen wohl alles können werden und zur Kunst machen würden, dass ich nicht fortsetzen konnte, und wohl auch nicht musste, denn kein Deut des Verstehens spiegelte sich im vom Puppenmacher erdachten Gesicht, wohl aber sprach es zu mir …

CER 23.5.2024