Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Brief an den Bildungsminister

Lieber Minister Freiberg,

ich hatte versucht, mich mit einem grundsätzlichen Problem anlässlich Ihrer Sprechstunde an Sie zu wenden, was aber abschlägig beschieden wurde, da ich kein Lehrer sei. Tatsächlich leite ich als Privatier und gewesener Physiker das einzige durch Jufo geförderte SFZ im Land Brandenburg in Zeuthen. In den fünf Jahren dieser Tätigkeit bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es unsinnig ist, ca. 60 % der Schüler zum Abitur zu führen, das mehr ertrotzt als erworben ist. Besonders deutlich sind diese Erkenntnisse bez. der naturwiss./mathematischen Bildungsfähigkeit und dem Wissensstand.

Zu meinen Zeiten bestanden 10 % der Jugendlichen das Abitur und es gab keinen Lehrlings- und auch kaum Lehrermangel. Ist es nicht klar, wenn die Mehrheit erst 12 bis 13 Jahre die Schulbank drückt, um dann ein möglichst bequemes Studium an demzufolge überfüllten Unis zu absolvieren, dass dann zu wenige mit 16 schon einen Beruf ergreifen?

Hinzu kommt, dass die Lernbereitschaft eher gesunken ist, man lieber mit dem Handy spielt und es geradezu als uncool gilt, wenn der eine oder andere noch etwas leisten will.

Ein weiterer Aspekt ist, dass in Bezug auf geistige Produkte eine ungeheure Rationalisierung stattgefunden hat und gerade durch KI weiter im Gange ist. Staatsmännisch entschieden wäre da wohl, nicht immer mehr Masse an den Start zu bringen, sondern den Talenten, die sehr rar sind (weit weniger als 10 %) entsprechende Bedingungen durch kleinere Klassen und ausgezeichnete Lehrer zu schaffen. Das betrifft auch die materielle Sicherstellung. Für unser SFZ sind manchmal schon Beträge von wenigen 10 Euro ein Problem, wogegen eine Schule, wie die unsere allein ca. 1/2 Mio € an Personalkosten nur für die Lehrerschaft hat. Gerade die materielle Absicherung von Ideen und Experimenten, wofür heute ungleich bessere Möglichkeiten bestehen, werden sehr stiefmütterlich im Schulbetrieb versehen.

Wichtig ist auch die Disponibilität der Mittel. Die wenigen interessierten Schüler, die wir noch haben, kommen heute mit Ideen, von denen wir gestern noch nichts wissen konnten – sie sind eben schöpferische Wesen. Zudem bringt eine Planung, mal abgesehen vom Gesamtumfang, nichts.

Dass man meine Anregungen nicht gerade hören mag und mir dazu einen Lehrerstatus abverlangt, bringt wohl zum Ausdruck, dass man solche eher von Lehrer- oder Schülerseite zu erwarten gedenkt. Und wie sollten diese, in gewisser Weise an Überlastung leidenden, auf den Gedanken verfallen, dass sich die Zeiten derart geändert haben, dass jeder angehalten ist, seine Rolle zu überdenken?

Sie sind durch die Feuer der Politik gegangen und in dieser Position angelangt, gehen sicher davon aus, dass alles immer besser wird. Dabei würde den Schulen mehr Autonomie und weniger Regelwerk guttun, womit es mit den Ratschlägen nun auch sein Genügen haben soll.

Mit vorwinterlichen Grüßen
Dr. Christian Rempel