Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Lieber Stefan…

Lieber Stefan,

Du überließt mir ganz im Sinne des in höheren Sphären Schwebenden, die geistige Akrobatie des Adorno, ohne ein Wort der Warnung oder Zeichen der eigenen Affirmation, der weiter die Geistesmassen durchwatete, auf der Suche nach immer mehr kritischen Anhalten, die dem Vernehmen nach sogar eine Schule der Westgoten ausgemacht haben soll, die sog. Frankfurter Schule, von wer weiß was ich was.

Ich will nun aus dem Gedächtnis schreiben, weil mir doch Adorno nahelegte, dass sich die Stichhaltigkeit von Ansichten, an deren Herbeizitieren von Zitaten messen ließe und er das profane Bild herbeiruft, von einer Kammer in die nächste zu „dringen“, was dadurch erleichtert wird, dass sich bei ihm all diese, doch eigentlich zu respektierenden und zu hütenden Kämmerlein, im gleichen Abstand zum Mittelpunkt befänden. Einem anderen war schon eingefallen, den ich bei meiner selbstgewählten Prämisse auch nicht zitieren kann, dass sich das ganze organische Leben auf fressen und gefressen werden zurückführen ließe und man es daher am passabelsten als Krankheit beschriebe.
In dem Buch, das bis auf die letzte der 333 Seiten leider immer schwächer wird und wohl gut die Frage Thomas Manns hatte provozieren können, was denn nun das Rechte sei, erfährt man fast immer nur das Unrechte, von dem mich natürlich brennend interessierte, warum auch die kommunistische Vision bei ihm durchfiel, wo er doch an dem bestehenden und auch jetzt wieder bestehenden vor allem monierte, dass sie eine normierende Tauschgesellschaft sei, die zu allem Unglück auch noch eine Kulturindustrie hervorgebracht hätte. Da fand er den pausbäckigen muskelstrotzenden Tatmenschen antizipiert, dem doch vielleicht auch mal einfallen könnte, nicht mehr nach den fernsten Sternen zu stürmen, sondern der auch einfach nichts tun könnte, wie ein Tier es vermag. Diese Entdeckung nun hat sich bewahrheitet, da es doch auch inzwischen genügend Menschen gibt, die vom Zwang der Arbeit befreit sind, selbst wenn sie eingefleischte Antikommunisten sind.
Noch ein, zwei Stellen positiver Aussagen sind mir aufgefallen, die irgendwie mit dem Licht zu tun haben, einem Rätsel, mit dem ich mich ein Leben lang beschäftigt habe. Man soll nämlich die Dinge in ein solches Licht setzen, dass mehrere andere von selbst anfangen zu funkeln und einen so von einem zum anderen, hoffentlich nicht vom Hundertsten ins Tausendste führen, wobei das unter das Verdikt des quantitativen fiele, das doch als Attribut der exakten Wissenschaften Philosophen zu fürchten gelernt haben und lieber nicht mehr gelten lassen.
Aber das Licht, aus dem die Welt vielleicht mal einzig bestanden hat und dem Adorno sein schönes Bild verdankt, vom Funkeln der jeweils anderen Dinge, die einen so herbeirufen, ist auch in der Schlussbedeutung, dass es einst ein messianisches Licht geben könnte, in dem die Welt bedürftig und zerschrunden daläge. So gibt man deren Heilung an eine alte Menschenhoffnung ab, die die Menschheit schon vergessen zu haben scheint und man sich nur noch mit Mühe vorstellen kann, dass sie dessen überhaupt noch gewahr werden würde, wenn es mal wieder so weit sein sollte.
Der arme Adorno lebte wohl in Zeiten, wo darauf besonders wenig Hoffnung bestand. Er konnte die Verhüllung des Reichtags nicht erleben, was ein solches Funkeln gewesen war. Er bewegt sich in der dünnen Luft der Vielwisserei, die natürlich auch eine viel zu dichte ist, als dass man darin noch würde atmen können und die Crux des messianischen Lichtes hatte schon immer darin bestanden, dass sie gegenwärtig nicht verstanden wurde und man sich dann im Nachhinein darum abmühte. Diesmal wird dem aber nicht so sein, und was bei ihm nicht ganz konsequent immer wieder mal anklingt, vom Subjekt und Objekt, halte ich für die zentrale Frage, dass wir es nämlich damit zu tun haben, sämtlich als Subjekte untereinander zu verkehren, die Natur eben eingeschlossen, was ich für meine bescheidene Erkenntnis halte, aber eben kaum einen finde, der in diese Hypothese fruchtbar einstimmen würde. Auch ich würde mir wünschen, so ein Subjekt unter vielen zu sein, das man ein bisschen erstnimmt.

Mit Grüßen aus dem Gedichtladen
Christian am 12.3.2023