Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Ein Brief

Ein Brief

Liebe L.,
das war wohl wieder sehr diplomatisch formuliert mit der Organisation des Vereins, der aus meiner Sicht in der Leitung liegt. Solange wohl noch der Zyniker G. mit am Ruder ist, lasse ich ja meine Mitgliedschaft auch ruhen. Du hast so viel geleistet für den Verein, gerade mit der Internetseite, aber da waren eben verschiedene Fallstricke gelegt, die einem freudiges und einigermaßen selbstbestimmtes Arbeiten nicht ermöglichten. Man hat aus meiner Sicht nicht gerade Ursachenforschung betrieben, als sich zum Beispiel Goldi beurlaubt hat. Was mich betrifft, so war bei mir das Schreiben vielleicht nur eine Episode, die zwar auch 20 Jahre angehalten hat, aber jetzt fällt es mir schon sehr schwer, überhaupt mal ein Geburtstagsgedicht zu verfassen. Gerade, dass ich, viel unpoetischer noch meine gedichtladen Seite mit Kolumnen fülle und mir ab und zu ein paar Limericks einfallen, die dort in Zufallswiedergabe erscheinen. Du hast Dich ja nicht nur fast übernommen und scheinbar nur Undank geerntet („schöner scheitern“), sondern Du bist ja auch eines der bemerkenswerten Talente im Verein gewesen und stellst Dich jetzt wohl auf eigene Füße. In letzter Zeit habe ich allerdings auch von Dir nichts mehr gelesen. Du bist ja so vielseitig interessiert und ziehst Dir viele Informationen rein. Ich höre so gut wie nicht mal mehr Nachrichten, will nicht mehr der erste sein, der mehr durchblickt als alle anderen. Es ist doch gerade das Machen, das wir verlernt haben, was dann vielleicht auch eine altersgerechte Erscheinung ist. Das ändert aber nichts daran, dass man die Menschen nicht am höchsten schätzen sollte, die ehrlicher Arbeit nachgehen. Komm erst mal zur Ruhe. Vielleicht schlägt Dir ja eine Welle des mitfühlenden Unverständnisses entgegen und stimmt Dich um. Du trägst noch so ein DDR Erbe mit Dir herum, das im Grunde wertvoll ist, es anderen recht machen zu wollen, ihnen nützlich zu sein, aber, ich hätte es Dir vielleicht schon lange mal sagen sollen, aber kann ja nicht sprechen, kann nicht angemessen reagieren, wenn Du mal wieder in heller Aufregung warst, wegen irgendwelcher Querelen: Da wäre ich früher zu einer wohlgemeinten Erpressung übergegangen, entweder ihr macht euern Scheiß alleine oder ihr lasst mich machen, wie ich denke. Ich kann das nicht gerade als Erfolgsrezept verkaufen, denn es bringt mir immer wieder ungewollten Abstand ein und ist auch nicht besonders feminin, von dem Männer ja noch immer etwas lernen können und das die Welt so schön zu machen versteht. Dein Schritt, von der Internetseite zu pausieren (ich habe nur bedingt Interesse an dieser Internetseite entwickeln können, und es war auch die viele Mühe vielleicht nicht wert), hat wahrscheinlich, ich habe das nicht verfolgt, dazu geführt, dass sie noch plakativer und töter geworden ist. Ich habe schon zig Mal auch vor dem Aus meiner Seite gestanden. Ich weiß nicht, ob Du öfter da mal reinschaust, aber ich habe keinerlei Ahnung, was sich die wenigen Leser dabei denken, ich fabuliere einfach vor mich hin und gebe mich als gläserne Person. Die Seite wurde zwar schon zweimal gehackt, aber damit hatte ich auch nichts zu tun und René hat das wieder in Ordnung gebracht. Ich habe den Zeiten insofern Respekt gezollt, dass ich einfach vor mich hin wurstele und mir keinen Kopf mache, was sich die Leute dabei denken, habe aber auch noch nie die Erfahrung gemacht, dass mich die Eitelkunst Diskussionen und deren Konsens- und Korrekturversuche irgendwie weitergebracht hätten. Du bist ja stark in sehr individuellen Bildern (setz mich auf den Frosch und hüpfe davon), weniger glücklich bist Du darin, politische Gefühle auszudrücken, obwohl das doch das Resultat all Deiner informatorischen Bemühungen sein sollte. Da bist Du einfach noch nicht zu was Greifbarem oder richtig Gutem gekommen. Ich habe letzthin Novalis Geburtshaus im Südharz besucht, er hat doch 250. gehabt und wollte doch die Welt poetisieren, was doch auch heißt, vereinfachen, aufs Wesentliche zurückführen. Das ist per se auch ein bisschen rechts, denn soweit ich weiß, haben sie sich das auch auf die Fahnen geschrieben, nur dass noch nicht wieder was Poetisches daraus geworden wäre. Heute wäre es eine titanische Leistung die komplizierte Welt und ihr Geschehen poetisch einzudampfen und man darf dabei keine Berührungsängste mit dem vermeintlich total zu Ächtenden haben. Ein Bernhard Schlink hat sich in der Enkelin dem genähert und war dabei ein Lernender, gut beherrscht hat Juli Zeh das auch in Über Menschen. Man darf sich vom Anheften von Klischees nicht erschüttern lassen, man muss das Gute dieser heutigen Zeit nutzen, dass man sich auf den Weg nach Innen begeben kann und sehen, was dabei herauskommt.

Herzlich Christian