Lapis Philophosphorum
Eine der Anweisungen von Brian hatte auch darin bestanden, dass möglichst wenig Abwasser zu produzieren sei. Wenn wir das dann übliche Plumsklo hätten bauen wollen, dann wäre in dem Bereich des Gartens ein metertiefes Loch zu buddeln (Spaten waren zur Genüge vorhanden, während alles andere Werkzeug weggeschlossen oder tabu war). Wie nun sollte die schöpferische Anwendung dieser Maßgabe erfolgen? Noch gar nicht in Kackstimmung lief ich den ganzen Zaun ab, der zwar alt war, aber ohne eine Lücke. Für einen 67Jährigen als unüberwindlich anzusehen, aber es gab eine einzige, nur durch eine lose Kette gesicherte „Fluchttür“, die dann allerdings, kurz erprobt, sofort in zwei Teile zerfiel, sodass sie, wollte man entkommen, ein deutliches Zeichen hinterlassen hätte. M. Hatte als Werkzeug eine kleine Zange und einen kleinen Hammer mit, und ich hatte ahnungsvoll unserem Gepäck ein einigermaßen brauchbares Beil hinzugefügt, das ja bei Rempels als Universalwerkzeug gilt. Die Tür durfte ja in keinem Stück neu aussehen, sondern musste verwittert und gebrechlich im Aussehen bleiben, sonst wäre sie auch zu verräterisch gewesen. Es ging also um eine Restauration, und da es außer einer Schüssel rostiger und krummer Nägel keine Verbindungselemente gab, mussten diese aus der lädierten Tür gewonnen werden. Ein Brett war auch zu ersetzen und fand sich auf einem Speicher, dessen Betreten ebenfalls untersagt war, aber er musste dazu auch nicht betreten werden, sondern man konnte es von unten herausziehen. Diese Restauration dauerte einen ganzen Tag in herrlichstem Sonnenschein, der mir einen tüchtigen Sonnenbrand eintrug. Nun konnte man das Grundstück auf kurzem Wege verlassen, wäre dahinter nicht so ziemlich undurchdringliches Gestrüpp und Brennnesseln gewesen. Aber M. verfiel plötzlich in Tatendrang und bahnte zwei Wege, einen zu den Rehen, wo uns der Rehbock manchmal wie ein Hund bellend geweckt hatte, und einen zur Außentoilette, die nun nicht metertief hat sein müssen, sondern lediglich einen Spatenstich. Den roten Spaten aus dem Sammelsurium hatten wir immer im Kompost bereitgestellt, aber außer mir nutzte die Außentoilette keiner. Etwas weiter fand sich auch ein Kartoffelacker, sodass man durch diese Tür auch an autarkiesichernde Kartoffeln kam, von denen einige wie kleine Frühkartoffeln aussahen und andere völlig erdig waren. Das war noch in der Zeit meiner Aggressionen und unserer daraus resultierenden Streitereien, denn ich wurde gerügt, dass ich diese Nachtschattengewächse zum Abendbrot roh kostete und den beiden M.s ein Nachtun untersagt. Nicht alles an den Streits war auf das gedopte Wasser zurückzuführen, es war auch die Rolle eines männlichen Gegenparts in der Familie, den man als erwachsen erkennen musste, was meine Verlobte nach langem Singledasein nicht mehr verkraftete. Jedenfalls ging in den Streitereien eine zünftige Einweihung des historiengerechten Bauwerks unter und wurde brüsk abgelehnt, weil es sich doch nur um eine typische Grille männlichen Tatendrangs gehandelt hatte. Das wurde alles erst besser mit der im ersten Aufsatz beschriebenen Wasseraktion mit Hilfe der Bundeslade. Es muss noch gesagt werden, dass sich einige frisch aufgeworfener langgezogener Wälle auf dem Gelände des Wunder- und Schulgartens befanden, deren nähere Untersuchung ebenfalls verboten war. Auf einem befand sich eine einzelne Kürbispflanze, die bereits blühte. Auch von der Fluchttür zog sich ein solcher Wall hinaus ins Gelände, war schon von Trauerweiden bestanden und war immer zu überwinden, wenn man sich zu meinem Privatklo begeben wollte, das ich unter einer Weidengruppe eingerichtet hatte. Der Umgang mit Fäkalien war mir ja schon bei meinem letzten Klinikaufenthalt 2012 aufgefallen (s. Klarheit & Wahn). Noch früher hatte ich deren Analyse in Betracht gezogen, um festzustellen, ob sich der Verursacher an eine bestimmte Diät gehalten hatte, um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Menschengruppe zu beweisen. Die Wälle hätten gut und gerne Waffenlager sein können, wie am Lutherdenkmal in der Stadt bezeichnet: Ein feste Burg ist unser Gott/ Ein gute Wehr und WAFFEN – gesponsort vom örtlichen Rotary Club Prenzlau.
Als ich eines Tages wieder eines der passenden Löcher ausheben wollte zum Behufe der Notdurft, stieß ich auf etwas Metallisches. War das der Lauf einer Kalaschnikow oder eines Geschützes? Natürlich nicht – es war der schwarzerdefarbige Lapis Philophosphorum, und er sprach zu mir. Graviere mich und lege mich in eine Schlange der Hoffnung. Wenn diese 12 Meter lang wird, werde ich anfangen zu phosphoreszieren und meine Gravur wird sichtbar werden. Der Stein war an der Unterseite abgeflacht, nicht viel größer als eine gestreckte Hand, und zu den magischen Begebenheiten gehörte, dass sich eine scharfe Nadel in der Siebensterne Küche gefunden hatte, sodass ich neben dem Spatenabdruck noch weitere geheimnisvolle Zeichen einritzen konnte. Diese Zeichen verschwanden, als der Stein fixiert wurde und würden sich ja auch erst wieder zeigen, wenn die Phosphoreszenz eines Tages einsetzen würde, der Stein von innen zu leuchten begänne – eben in einer der Corona Hoffnungsschlangen. Dort postierte ich ihn in Zeuthen an der letzten Stelle einer etwa 2 Meter langen Schlange, und jetzt ist er durch Geisterhand schon auf die dritte Position vorgerückt, was etwa meiner Stellung in der Familie entspricht. Aber jetzt ist erst mal Nachschlaf angesetzt – im Vorgefühl des Nachsommers von Adalbert Stifter.
Christian Rempel in Zeuthen an 5 Monaten vor Weihnachten