Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 16 / KW 17 2019 „Schicksal“

Schicksal 

Zuweilen gebe ich Bücher heraus, die mir von ambitionierten Autoren zugespielt werden. Das ist beim vielgescholtenen Unternehmen Amazon zu wirklich günstigen Konditionen möglich, sodass dem Urheber keinerlei Kosten entstehen und er Autorenexemplare für einen geringen Preis erstehen kann.

Dabei kommen einem Schicksale unter, die einen schon bewegen können. Man stelle sich vor, dass man den Krieg als kleiner Junge erlebt hätte, dass der geliebte Vater, der so schön Mundharmonika spielen konnte, von seiner Seite gerissen wäre, man bei Sirenengeheul in die Keller musste und nachher die Hungerjahre erlebt hätte.

Anstelle des Vaters zog ein beinloser, jähzorniger Mann ein, der den Stiefsohn nie beim richtigen Namen nannte, sondern Pfeifenheini, Ferdinand oder Busse. Der einen verprügelte, wenn es nicht nach seinem Sinn ging. Da erwartete der Stiefsohn nichts sehnlicher, als dass er endlich achtzehn wurde und ging in den Westen. So ohne Vater nahmen die Beziehungen zum weiblichen Geschlecht ein wenig pathologische Formen an. Er ergab sich ganz in diese, seiner Meinung nach großen Lieben. Doch selbst in den Westen verfolgte ihn sein Trauma des Stiefvaters, der dann dort auftauchte und seine Präsenz geltend machte. Dazu kam, dass sich das Leben im Westen auch als nicht so einfach herausstellte. Man musste schon ganz schön ackern, um auf einen grünen Zweig zu kommen.

Ein guter Vater und Ehemann zu sein, genügte da dem Protagonisten bald nicht mehr, er stürzte sich in eine weitere Beziehung und seine doch scheinbar so ideale Ehe ging in die Brüche. Dieses Mehr an Beziehung war es dann allerdings auch nicht und er führte für ein paar Jahre ein Junggesellenleben, wobei er beruflich eine komfortable Nische gefunden hatte.

Dann noch mal eine wunderbare Frau, die bereit war das Alter mit ihm zu teilen und das lange Leben reichte noch einmal für eine dreißigjährige Ehe. Aber da war er schon müde, so lebhafte Eindrücke wie aus der Kindheit in Erinnerung zu behalten und zu Papier zu bringen. Dieses scheinbare aktuelle Glück bespricht er nicht mehr und seine Lebensgeschichte hat er scheinbar auch nicht für diese Frau, die nun wohl die Endstation bildet, geschrieben, sondern wie er meint, für eine interessierte Leserschaft. Alles Interessante lag vor dieser Endbeziehung, seiner zweiten Ehe, wobei die Jahre nach seiner ersten Scheidung gerade mal auf zwei Seiten Platz finden.

War es nun dieser behinderte Stiefvater, der sein Leben geprägt hat und vor dem er geflohen ist. Er hat ihn also nicht überwunden, sondern sich aus dem Staub gemacht. Etwas aufzuschreiben hat viel mit Ehrlichkeit zu tun, und diese Ehrlichkeit scheint er nur auf seine frühesten Erlebnisse anwenden zu wollen. Ein Leben, das dann vielleicht im täglichen Einerlei, vielleicht eben dem gewöhnlichen Glück, unterzugehen droht.

Christian Rempel in Zeuthen, den 28.4.2019