Der Gedichtladen

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Kolumne KW40 „Hineingelebt“

Hineingelebt

 

Pünktlich zum 25sten Jahrestag der Wiedervereinigung, oder genauer ge­sagt, des notgedrungenen Anschlus­ses der maroden DDR an die Bundes­republik, nahm nun Gregor Gysi seinen Abschied, bei dem viel Versöhnliches gesagt wurde, auch dass ohne ihn vielleicht der Bundestag jetzt Volkskammer hieße. Es ist nicht so gekommen, wie der Slogan „Überholen ohne Einzuholen“ einst verkündete, denn es hat uns ja eingeholt.


Alles das, was wir nicht bewältigt haben in den vierzig Jahren DDR, deren Staatsgründung einst eine schnelle Antwort auf die Gründung der BRD war, aber von dieser nie richtig anerkannt wurde, alles liegt nun hinter uns. Letztlich ließ sich aber durch Konfrontation wenig bewirken und erst das Tauwetter der siebziger Jahre stellte immer mehr Weichen in Richtung Auflösung des umstrittenen, sich dem Sozialismus verschriebenen Staatsgebildes.

Bei Otto Mellies las ich nun, dass es den eigentlichen sozialistischen Ver­such noch gar nicht gegeben hätte, auch wenn er mit seiner Vergan­genheit weniger hadert als die vielen selbsternannten zeitlebens im Wider­stand Gewesenen. Leider war ja der Versuch, es mal ganz anders zu versuchen, gleich anfangs vom Stalinismus überschattet, wo es oft besonders hart und manchmal unge­recht zur Sache ging.

Trotzdem lohnt sich auch heute noch eine Bilanz, was wir denn eigentlich in die Bundesrepublik eingebracht haben, außer den allfälligen Schulden. Das war sicher ein Menschentyp, wie ihn die Marktwirtschaft nicht hervorzubringen imstande ist, der es gewohnt ist, in Gemeinschaften zu leben und zu arbeiten, der nach gesamtgesellschaftlichen Zielen streb­te, der auf gewisse Weise, manchmal bis zur Naivität, uneigennützig und diszipliniert war.

Bei allen Einschränkungen, dass auch Angst eine Rolle spielte, ging man dann doch mit gewissem Gott­vertrauen `89 auf die Straße in der Hoffnung, dass eine Führung, die immerhin Vernunft des Öfteren unter Beweis gestellt hatte, nicht so reagieren würde, wie die chinesische auf dem Tien an Men Platz, was sich dann auch bewahrheitet hat. Man bot sich an, Teil eines Volkes zu sein, das man doch auch selber repräsentierte. Das Geld kam dann wirklich und viele Berater und neue Chefs, die nicht schlecht staunten, wie verostete Verhältnisse aussehen.

Das Menschenmaterial, wenn man es so nennen darf, wurde allerdings nicht unbedingt als eine Bereicherung angesehen, dessen Eigenschaften auch nicht als bemerkenswert, sondern es war schon die Zeit, wo viele Menschen eher auch viele Probleme bedeuteten, wie wir es heute auch wieder sehen, wo noch fremdere Fremdlinge zu uns strömen.

Warum nahm man sich unser an, wenn dem so war? Ist es der alte Traum eine Großmacht sein zu wollen? War es der Zauber des Gemeinschaftsgefühls und der Ver­grö­ße­rung des Heiratsmarktes? Ich glaube, es ist der alte Traum, dass jemand gut fände, was ich selbst als gut erkannt zu haben glaube. Der Mensch, der sich mir anschließt, ist nicht nur ein Facebookfreund, er wird ein dankbarer Mensch sein und ich werde Gott danken, dass dieser potenziell dankbare Mensch mir gesandt wurde. Für dieses elementare Gefühl ist ein Staat so weit, dass er viel Geld dafür ausgibt. Es gibt Beispiele dafür, wie viel die DDR dafür ausgegeben hat, wenn sich jemand zu ihr bekehrt hat, wie die Aufnahme der (roten) Scala aus Wien ans Deutsche Theater Mitte der fünfziger Jahre.

Bei diesem umgekehrten Fall, dass der Bundestag heute Volkskammer hieße, wären in umgekehrte Richtung auch Milliarden geflossen, wenn man sie nur gehabt hätte. Dass eine sozialis­tische Ökonomie nicht funktionieren kann, gilt heute als unumstößliche Tatsache und die menschlichen Defekte der Marktwirt­schaft sind für’s Funktionieren eben darzubringende Opfer.

25 Jahre sind überstanden und es war ein harter Kampf, nicht der eines Volkes um zunehmenden Wohlstand, sondern der jedes einzelnen, sich ein kleines oder kommodes Pölsterchen zu schaffen. Die bequemen politischen Wahlspielchen und die angebliche Pressefreiheit haben uns desillusioniert. Gemeinsame Ziele haben wir nicht mehr, lassen uns von fremden Mächten herumschubsen und in kleine Katastrophen stürzen. Dass der Mammon regiert, nehmen wir kaum noch zur Kenntnis, denn wir scheffeln selber genauso, wenn es nur geht.

Würde ein Jesus nebst Jüngern heute in Armut durch Deutschland ziehn, er würde nicht mal verlacht. Man sagte sich, fein, sollten das alle so tun, desto mehr bleibt mir vom Kuchen. Begehrte er allerdings zwei Ohrfeigen, wir wissen ja, es muss für jede Wange eine sein, dann würden wir diese verweigern. Gewalt soll ausüben, wer will, wir achten die Religion.

Und tatsächlich unternimmt es keiner, kein Gläubiger und kein Atheist, jemanden so auf die Probe zu stellen, denn alle wissen alles schon, alles wurde schon einmal versucht. Wir sind einfach am Ende der Zeitalter.

Christian Rempel im Waltersdorfe, den 3.10.2015