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Kolumne KW02 „Bewerbungstraining“

Bewerbungstraining

 

Wohl nichts ist so sehr formalisiert wie Bewerbungen. Es wimmelt nur so von vorgedruckten Formularen und Formulie­rungs­empfehlungen, dass es weder zu forsch klänge noch zu unterwürfig. Auch jegliche Ungenauigkeiten sollen nach Möglichkeit ausgemerzt werden.


Die Generation, die sich heute ins Berufs­leben begibt, stürzt nicht gerade dort hinein geschweige denn, dass sie hineingebeten würde. Die meisten harren in der Schule so lange aus wie möglich, freilich nicht ohne ihr Desinteresse ausgiebig zu bekunden und sich auch kein Bein auszureißen. Haben wir es doch mit einer Generation zu tun, die ihre Freizeit vor den Computerbildschirmen verbringt und eine Erholung wiederum davon ist dann ein Kinobesuch, also eine etwas andere Art von Berieselung.

Wenn sie dann vor einer leeren Seite sitzen, die sie mit einem Bild füllen sollen, das sie in einem viel vorteilhafteren Lichte erscheinen lässt, dann fällt ihnen rein gar nichts ein und die Eltern, die noch eine Seite Brief manchmal zustande bringen, beginnen sich mit möglichst jugendlichen Worten zu äußern, was der Sohn dann mit sagenhafter Geschwindigkeit, fast ohne Fehler, aber auch ohne innerliche Anteilnahme dann eintippt.

Interessen und Hobbys, die eigentlich nur noch rudimentär vorhanden sind, werden verbal ausgegraben, um das Bild einer vielseitig interessierten Jugend aufs geduldige Papier zu bannen. Eigentlich müssten reihenweise leere Blätter bei den Bewerbungsstellen eingehen, würden die Eltern nicht helfen und die stille Hoffnung hegen, dass alles, was sie selbst an Erziehung verabsäumt haben, in diesem geschützten Raum der Erwerbstätigkeit als der Stunde der Wahrheit nachgeholt würde.

Noch ist es ja unüblich, die Lehrstelle als Chillstelle anzusehen, auch wenn sich bei den Ausbildern schon der Eindruck verfestigt hat, dass die Jugendlichen recht schnell mit einer Krankschreibung aufwarten, wenn ihnen der Entzug der geliebten Computerspiele zu sehr auf den Senkel geht, und unsere Maßgabe, dass im Krankheitsfall nicht gespielt werden darf, wird auch immer mehr unterlaufen. Verständnisvolle Ärzte beantworten die kleinste Rötung der Mandeln oder andere Unpässlichkeit nicht nur mit sofortiger Verabreichung von Antibiotika, sondern sorgen auch durch Krankschreibung schnell für unbegrenzte Freizeit.

Ist das noch die Generation, die mit jugend­lichem Elan Sümpfe trocken legt, die die Höhen der Wissenschaft erobert, um die Welt sich untertan zu machen? Ist das noch die Generation, die die Welt poetisieren möchte? Sicher sind wir alle eingeladen, auch alles weltliche Tun zu vergessen und irgendwelche Monster auf den Bildschirmen mit vereinten Kräften zu jagen und vorgefertigte Welten zu entdecken. Beklagt man sich, ist man selber schon alt und gehört zum alten Eisen geworfen.

Wir haben selber noch die ersten Computer aus der Taufe gehoben und registriert, dass irgendwelche Leute sie gleich zum Zeitvertreib zu nutzen wussten. Irgendwelche Leute haben die Computer auch immer schneller und bunter gemacht und immer raffiniertere Spiele erfunden. Jetzt sind wir baff, dass die Jugend nicht mehr wegzukriegen ist davon und wir nur noch dafür benötigt werden, so viel Knete zusammenzuklauben, dass wir auch ein anständiges Modell zur Verfügung stellen können. Mehr wird von uns nicht verlangt und sollten wir darüber nicht dankbar sein, dass wir keine Lebenskonzepte mehr entfalten müssen, dass uns keiner mehr um eine Geschichte befragt, dass wir uns nicht mehr kindisch geben müssen und ewig „Mensch ärger Dich nicht“ spielen?

Aber ein bisschen überflüssig sind wir schon.

Christian Rempel im Waltersdorfe
12.1.2014