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Kolumne Nummer 33/2019 „Das Buch der Bücher“

Das Buch der Bücher

Man möchte das keinem Buch zugestehn, und schon gar nicht einem, das ja nur als Jugendbuch gilt und sich selbst etwas wichtigmacht, eben dem Buch „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Auch kann man das Phantasy Genre in eine Ecke stellen, so zwischen Kitsch und Science Fiction, und es eben etwas abgefahrenen Liebhabern von Wort- und Wesenskonstruktionen überlassen, die mit dem Alltäglichen möglichst wenig zu tun haben. Es schwirrt einem der Kopf von seltsamen Begriffen und Namen, die man sich wie ein Biologe alle merken soll oder schwieriger noch, sich ausdenken. Ich habe mir eigentlich nur Auryn, das Amulett mit den sich gegenseitig, jeweils am Schwanz verschlingenden Schlangen gemerkt, und natürlich Atreju, den eigentlichen Helden der Geschichte, in dessen Klugheit und Gewandtheit man sich verlieben kann, obwohl er doch erst 10 Jahre alt ist, wie auch Bastian, der an das Buch kommt, das es vielleicht gar nicht gibt und gab, und doch kann es jeder kaufen, wie es wohl schon 10 Millionen taten und es zum erfolgreichsten deutschen Buch überhaupt machten. Seine Vorbehalte gegenüber sog. Bestsellern kann man da getrost beiseite lassen und wer gern einer profunderen Meinung folgt, kann es auch gern lesen, denn es ist ja ein Welterretungsroman, gleich zweier Welten, unserer und eben Phatásiens, den Michael Ende uns da ausgearbeitet hat.
Dass der schon früh verstorbene Autor da Großes geleistet hat, wird anlässlich des 40. Jahrestages des Erscheinens des Buches noch einmal so recht deutlich gemacht. Natürlich gibt es auch Streit, und auch der hat nahezu biblische Dimensionen, denn es geht dabei nicht um weniger als um einen Bilderstreit. Sollte man die phantastischen und mit treffenden Gleichnissen versehen Beschreibungen Michael Endes für sich stehen und die Bilder im Kopf des Lesers erstehen lassen oder sollte man selbst zum Pinsel greifen, wie jüngst Sebastian Meschenmoser, der binnen eines Jahres an die 50 Ölbilder auf die Leinwand brachte und dazu noch unzählige Zeichnungen. Schon die Verfilmung durch Wolfgang Peterson war ein solcher Versuch, der vom Autor erst gutgeheißen wurde und dann in dessen Enttäuschung überging. Sicher sind die Geschmäcker da verschieden und ich bevorzuge die schlichte Ausgabe, wo nur die Anfangsbuchstaben der 26 Kapitel, die eben gerade die 26 Buchstaben unseres Alphabets sind und jedes der Reihe nach mit einem der Buchstaben beginnt, alles andere stelle ich mir auch lieber selber vor. Das einzige, was man sich noch wünschen könnte, wäre ein kupferfarbener Seideneinband, aber es handelt sich eben nur um eine Kopie, das originale ist wohl wieder beim „Alten von wandernden Berge“, dessen eiförmige Wohnung inzwischen vielleicht wieder in Ordnung ist, aus der es eigentlich kein Entrinnen gibt.
Fantasy schließt ja immer ein bisschen an Märchen an, an die sehnsuchtsbeladenen Urbilder im Volk, und da ist natürlich fast zuvörderst die Sehnsucht nach einer Monarchie, einem guten Königspaar, das gegenwärtig ist und milde in seiner Regierung. In diesem Fall ist es die Kindliche Kaiserin, auch die „Goldäugige Gebieterin der Wünsche“ genannt, die Phantásien regiert und dabei gar nicht zu regieren scheint, denn ihr gelte das Schöne und Hässliche, das Gute und Böse gleichviel. Und diese Kaiserin ist krank, wie es auch ihr Reich ist, das vom Nichts aufgefressen wird, das man nicht einmal sehen kann und es einem, wenn man hinguckt, vorkommt, als wäre man blind. Die Phantasien quellen aus dem Autor nur so hervor, dass man gern glauben möchte, dass er eine Bibliothek damit hätte füllen können, wie sein alter ego, der Bastian Balthasar Bux in der Silberstadt Amargánth, der es dem Buch zwar im zweiten Teil schwer macht, aber eben zunächst der Retter von Phantásien wird.
Der eigentliche Held ist aber eben der indianische Atreju aus dem Grasland, der eigentlich gerade hätte Jäger werden sollen, aber auch dringend für die Rettung Phantásiens gebraucht wird und den die Kindliche Kaiserin zur Rettung vor ihrer Krankheit erwählt, indem sie ihm Auryn überbringen lässt, das Amulett, das kaiserliche Macht in Phantásien verleiht. Atreju besteht nun Abenteuer auf Abenteuer, lernt der Glücksdrachen Fuchur kennen, woraufhin sie ein unzertrennliches Duo bilden, aber einen aus der Menschenwelt zu finden, der das einzige Heilmittel hat, nämlich der Kindlichen Kaiserin wieder einmal einen neuen Namen zu geben, ist ihm nicht vergönnt. Mehr darf man schon fast nicht mehr verraten, will man dem Buch nicht die ins Philosophische gehenden Wendungen und Zusammenhänge zu nehmen, denn auch Sie sollten das Buch ja lesen und nichts Gelehrtes darüber mal so nebenhin aufschnappen.
Jedenfalls lernen sich Atreju und Bastian noch kennen. Aus der geheimnisumwobenen Suche Atrejus wird zunächst eine Erfolgsgeschichte Bastians, aber dieser steht dann im Widerstreit mit sich selbst, was man anfangs nicht vermutet hatte, denn eigentlich ist er zurückgesetzter dicker Junge. Die Fährnisse des Erfolgs werden in der zweiten Hälfte des Buches behandelt und Theoretiker würden sagen, das Abenteuerbuch wird zum Bildungsroman, wobei allerdings alles in sehr großem Stil vor sich geht bis zu einem Show Down, wie man ihn oft bei Erfolgsautoren zu verzeichnen hat, aber es scheinen auch Gesellschaftsmodelle auf, wie sie die Individualität sich erwünscht und die dann mehr oder weniger versagen.
Da es sich um die unendliche Geschichte handelt, ist allerdings bei diesem Show Down auch noch nicht Schluss, sondern sie geht weiter und weiter, bis es einem dann schon mal die Tränen in die Augen treibt. Die Dialoge und Begebenheiten sind so sicher und schön beschrieben, so voller Nuancen und sprachlicher Schönheiten, dass man sich eine Übersetzung gar nicht vorstellen kann. Das geht nur im Deutschen. Der Fastheld Bastian wollte auch gern mal auf Fuchur reiten, und wie Atreju diesem das anbietet, soll als Beispiel für die Meisterschaft in den Dialogen gelten. Atreju, der Bastians Wunsch kennt, fragt ihn nicht etwa, ob er mal auf Fuchur, dem Glücksdrachen durch die Lüfte schweben möchte, sondern ob er selbst mal ein Stück auf dessen Mauleselin Jicha reiten dürfe, woraus sich das erwünschte Angebot an Bastian, mal Fuchur zum Reittier zu nehmen, taktvoll ergibt. Dieser indianische Atreju, der eigentlich sogar Analphabet ist, hat mehr an Mut und Seelenbildung als alle anderen.
Wollte man den Roman in die Literaturgeschichte einordnen, müsste man schon eine neue Kategorie erfinden: Verantwortungs- und​Herzenbildungsroman vielleicht, aber damit wäre keinem geholfen, man kann es auch nicht erzählen, dazu ist es zu reich an inneren Bildern. Es gibt nur ein Mittel, das an sich wirken zu lassen, und das ist das Lesen. Das wird dem Buch auch von allen Kritikern einhellig zugestanden. Sollte man es da noch unnötig bebildern? Ich denke: nein.