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Abend im Ballhaus Wedding

Abend im Ballhaus Wedding

Gut gefüllt ist das Ballhaus Wedding wieder, als sich Niklas Kohrt und Axel Pape daranmachen, den berühmten Roman von Dostojewski „Schuld und Sühne“ auf die Bühne zu bringen. Erst wirkt es etwas befremdlich, dass sie mit Tablets daherkommen, von denen sie den Text lesen, denn das Schauspielerische steht ja im Vordergrund.

Niklas spielt den verarmten Studenten Raskolnikow, der ja bekanntlich einen rustikalen Doppelmord mit einem Beil auf sich lädt, und das alles für ein paar zusammengeraffte Schmuckstücke, die wohl kaum die moralische Last aufwiegen, die er sich aufbürdet. Im Nachhinein wird deutlich, dass er entsprechend einer nicht ganz von der Hand zu weisenden Theorie gehandelt hat, dass es nämlich Menschen gibt, die außerhalb des Gesetzes stehen, reichlich Blut vergießen, was doch gemeinhin überall als Unrecht gilt, aber dann gefeiert werden, wozu als Beispiel Napoleon herhält, der doch so viele auf dem Gewissen hatte, dass er eigentlich als Schwerverbrecher gelten müsste.

Wie kunstvoll hat Dostojewski dieses krude Geschehen auch verwoben mit einem ganz privaten Konflikt, dass nämlich der verbrecherische Student als einziger die bevorstehende Hochzeit seiner Schwester mit einem Manne von einigem Kapital, der sich zur Prämisse gemacht hat, eine Frau zu ehelichen, die die Not bereits kennengelernt hat und daher recht dankbar sein dürfte von einem wohlsituierten Mann gefreit zu werden. Pape und Kohrt haben dabei in manche Rolle zu schlüpfen, zuweilen auch weibliche, was ihrem unterschiedlichen Naturell gut entspricht: Kohrt, der draufgängerische und hitzköpfige und Pape, das gepflegte Widerpart.

Der Höhepunkt dieses Abends ist zweifellos das als freundschaftliches Gespräch aufgezogene Verhör durch den Untersuchungsrichter, wo beide, sich an Intelligenz ebenbürtigen – was man natürlich beides der Genialität eines einzigen, Dostojewski zu verdanken hat – sich in Tricks messen, die der andere dann jeweils durchschaut und es letztlich dazu kommt, dass Raskolnikow gesteht, aber der Untersuchungsrichter seine Menschlichkeit unter Beweis stellt, indem er es als dessen freiwilligen Entschluss darstellt und ein Höchstmaß an mildernden Umständen gewährt wird. Er hat dann sogar noch ein Mädchen, das sogleich erkennt, dass dieser aufbrausende junge Student verrückt werden, wenn er seine Schuld nicht bekennen würde.

Kohrt ist da ganz der Raskolnikow und ihm gebührt die besondere Ehre, sein ganzes Ich glaubhaft in diese Figur gesteckt zu haben, wo wir doch gerade heute an Bedenklichkeit und Gemessenheit genug haben und man sich manchmal mehr Hitzköpfe wünschen mag.

Ein so gelungener Abend, dass man wieder ein bisschen an echte Theaterkunst glauben kann, und es bleibt zu hoffen, dass das Stück im Ballhaus noch einmal zur Aufführung kommt.

Zu bemerken ist auch noch die perfekte Technik, die ganz unaufdringlich jedes Wort auch in den hinteren Reihen verstehen ließ, sich fast aber so anfühlte, als sei sie gar nicht vorhanden gewesen und man eben dabei war.

C.R. 30.7.2022