Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Eindrücke vom 6. Osterzgebirgischen Puppentheaterfest

Dieses Wochenende mal nicht im Schnee, wie im Vorjahr, sondern bei wunderbarem Herbstwetter, so dass Wanderungen zu den Spielorten teilweise möglich waren. Das Puppentheaterfest hatte sicher viele Höhepunkte und wenn man bedenkt, dass wir selbst nur vier Stücke sehen konnten und darunter drei richtige Entdeckungen waren, kann sich der Qualitätskoeffizient durchaus sehen lassen. Insgesamt waren es wohl drei mal sieben Veranstaltungen, die an verschiedenen Spielorten dargeboten wurden, wobei die Organisation beim Gasthof Bärenfels und dem Verein Kulturgeschichte Bärenfels lag.

Man könnte denken, das sei nur etwas für Kinder, aber die Puppenspieler wissen wohl, dass selbst bei den Kinderveranstaltungen mindestens die Hälfte Erwachsene sind und dass das Erlebnis nicht nur für die umsorgten Kleinen da ist, sondern auch die großen Menschen auf ihre Kosten kommen möchten. Daneben gibt es auch noch ausgesprochene Erwachsenen­stücke, wo man sich wiederum fragen kann, ob ein Puppenspiel nicht immer Kleinkunst ist und hinter einem richtigen Theater notwendig zurücksteht. Oft genug sind aber die Stücke keine reinen Puppenspiele mehr, sondern die Spieler treten auch als lebendige Darsteller nebenbei auf, so dass sich auch beim ökonomischen Zweimannspiel die Zahl der erlebten Darsteller vervielfachen kann.

Zuerst sei das Figurentheater Margit Wischnewski erwähnt, das von der Persönlichkeit und dem handarbeitlichen Geschick der Alleindarstellerin lebt. Sie brachte am Sonntagvormittag das Schneewittchen, von einem Zwerg erzählt, als der sie originell verkleidet selbst auftrat. Mit dem Habitus einer rüstigen und geschäftigen Großmutter mit Witz und Ausstrahlung nimmt sie an einem schrägen Tisch Platz und breitet ihre Geschichte aus wie die Insignien des Schneewittchenmärchens, die sie teilweise selbst angefertigt hat und im Zeitalter der Barbies und gekauftem Zeugs zur Geltung zu bringen weiß. Sie hat auch Sinn für die nicht zu unter­schätzende Geduld der Kinder, wenn sie zum Beispiel den Jäger, der statt Schneewittchen zu töten ein Wildbret erjagen will, fünf oder sechs mal das Ziel verfehlen lässt, bevor er dann endlich ein Wildschwein killen kann. Für den gläsernen Sarg muss eine Käseglocke herhalten, in die sie die reizende Handpuppe stopft, so dass der Prinz wohl ganz schön Phantasie haben muss, die schöne Jungfrau in diesem Knäuel zu erkennen.

Alles an der Dekoration glitzert und funkelt, die beachtliche Zwergenbande ist aus Socken gemacht und fliegt nach kurzer Äußerung über die geschmückten Wände hinaus ins Leben, wie so manches, das sich nach dem Gebrauche im Spiel als überflüssig erweist. Was Frau Wischnewski bringt, ist Theater mit Seele und Witz und man staunt, wie spielend sie die Aufmerksamkeit der Kinder über eine Stunde fesseln kann.

Den Balanceakt eines Märchens für Kinder und Erwachsene bewältigen auch Annegret Geist und Tobias Rank mit Bravour. Den Ausgangspunkt bildet ein schüchternes Paar, das sich seine Liebe nicht gestehen kann und das als Haustier einen Frosch hat. Nicht einmal eine gegenseitige kleine Aufmerksamkeit, von ihr ein Keks, von ihm ein Tütchen unbekannten Inhalts, getrauen sie sich hinzustellen, während der andere gerade nicht da ist. Trotzdem sind die beiden im Begriff, eine Show aufführen zu wollen, was sicher viel mehr Erfolg versprä­che, als ein olles Märchen zu bringen, das jeder bereits auf den Latschen pfeifen kann. Der selbstbewusste Frosch aber wünscht sich das von den beiden und möchte eben den Froschkö­nig inszeniert sehen. Nach vielem Hin und Her geben die beiden dann auch nach und sie verkleidet sich widerwillig als Prinzessin, indem sie den Keyboard Vorhang sich kurzerhand um den Bauch wickelt und eine Kuchengabel ins Haar steckt. Aus dem schüchternen und durch den Frosch verärgerten Mädchen wird flugs die verwöhnte Prinzessin und aus dem Pianisten ein herrischer König, von gespieltem erzieherischen Altersstarrsinn befallen, so dass diese Geschichte einen Touch von König Drosselbart bekommt. Der Frosch übernimmt nun im Laufe dieses Spiels die Rolle des Liebhabers, das besonderen Reiz dadurch erhält, dass ja jeweils einer noch mit verstellter Stimme den natürlich auch verwöhnten Frosch geben muss, der diese Rolle wohl auszukosten vermag unter dem Protektorat des konsequenten Königs. Da die junge Prinzessin auch wohl anzuschauen ist, nimmt man als Erwachsener Anteil an diesen Versuchen, sie männlichen Bedürfnissen gefügig zu machen. Es ist Gesetz, dass solches Tun im Happy end ausgeht und damit der Frosch, der ja ein Haustier ist und schlecht zum Prinzen mutieren kann, nicht ganz leer ausgeht, wird ihm eine entsprechendes Froschfräulein noch zum Schluss herbeigeholt.

Man sollte ja nicht meinen, dass Kinder an solcherart Liebesspiel keine Freude hätten, da sie dafür noch viel zu klein sind, denn günstigstenfalls erleben sie so etwas in ihrer Kindheit im Elternhaus, wo es doch durchaus vorkommen soll, dass sich die Eltern erst finden, wenn der Nachwuchs schon da ist. Wenn das nicht der Fall sein sollte, lässt sich so etwas jederzeit nachholen und dazu ist dieses Spiel ein Muster.

Puppenspiel übelster Art gab es vom Kikerekitheater, das man höchstens bis zur Pause aushalten kann und wo man eigentlich sein Geld zurückverlangen müsste. Seltsam, dass dies den Organisatoren nicht selbst vorher klar war und man diesen Comedyverein nichtswürdigs­ter Sorte auch noch hofierte.

Wir blieben noch bis Sonntagabend und unseres Bleibens war wirklich gut, denn wir erlebten, zwar durch vorherigen Alkoholgenuss etwas intellektuell geschwächt mit gewissen Aufmerksamkeitsdefiziten auch das wohl anspruchsvollste Stück des Festes, nämlich den Faust. Von religiösen Menschen oft gescholten, von seichten gar nicht mehr verstanden und von den meisten eben nicht mehr geschätzt, scheint diesem Stück doch immer wieder neues Leben einzuhauchen möglich zu sein. Im Puppenspiel werden meist Zerrbilder dieses Urstücks geliefert, bei denen man sich mehr der Urfassungen zuwendet, als diesem Glanzpunkt dichterischen Schaffens von unserem Altmeister Goethe. Dass man Passagen im Originaltext bringen könnte, erscheint Theaterleuten inzwischen als ausgemachter Unsinn, der viel zu wenig Rechnung trägt dem für flach erkannten Unterhaltungsbedürfnis des heutigen Standardzuschauers. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass sich dieses beklagenswerte Niveau auf Anhieb beträchtlich heben lässt, wenn man selbst den Mut dazu hat und wenig­stens selbst die Verehrung für hohe dichterische Kunst nicht an den Nagel gehängt hat.

Man kann sogar fragen, ob es einer schauspielerischen Rahmenhandlung: er Fliesenleger, sie IT-Spezialistin, überhaupt bedurft hätte, denn der wirkliche Höhepunkt des Stückes kommt nicht in diesen Einlagen zustande, sondern wahrlich und wahrhaftig bei der Gretchenszene im Gefängnis, die allein durch Puppen dargestellt wird. Wahrscheinlich aber muss man wirklich den heutigen Menschen bei der Comedy abholen, mit der er sich täglich berieseln kann und deren Witzigkeit scheinbar total inflationär ist. Cornelia Fritzsche und Jens Hellwig aus Dresden und Radebeul haben sich zusammengetan, um sowohl selbst, als auch mit den Puppen aufzutreten. Er erst als Fliesenleger nimmt Maß in der Wohnung eines abwesenden Theaterkritikers. Sie kommt dazu und nimmt telefonisch den Auftrag entgegen, dass beide den Faust spielen sollen unter Androhung der Nichtbezahlung bei Nichtausfüh­rung. Der Abwesende hat das Stück schon zusammengestrichen, das darüber hinaus noch auf einem Labtop zu googeln ist. Auch hier wird, wie beim Froschkönig mit einfachster Dekora­tion gearbeitet, die aber nicht, wie bei heutigen Theatern den Eindruck übertriebener Sparsamkeit und Einfallslosigkeit macht, sondern tatsächlich nicht von dem anspruchsvollen Spiel ablenken will. Tafeln und Fliesenwände reichen hin, um die Kulisse für das Studier­zimmer, das Jungfernstübchen des Gretchens oder die Gebirgslandschaft des Osterspa­ziergangs abzugeben.

Dass nicht nur Goethe dichten konnte, wird durch Einschübe ins Puppenspiel bewiesen, wo die Famulusszenen zu einem eigenständigen Handlungsstrang mit ähnlichem sprachlichen Anspruch, wie die Originalszenen ausgebaut werden, nur dass eben durch einen zusätzlichen Geist auch noch zusätzlicher Witz ergänzt wird. Überhaupt ist der Famulus heutiger Basecap­generation reizend nachempfunden.

Hat man genug gelacht, so kann man auch ergriffen sein, und das von Puppen! Das ist tatsächlich möglich und die Kerkerszene des Gretchen und des verruchten und verzweifelten Faust gerät zu diesem für unmöglich gehaltenen Höhepunkt. Das ist keine Kleinkunst mehr, das ist anspruchsvolle hohe Kunst.

Hätte nur uns das Stück begeistert, hätte uns das nur bestärkt in der Annahme, dass man einen überholten und exzeptionellen Geschmack besitzt, aber auch das überwiegend jugend­liche Publikum war begeistert, also lässt es sich heben, das vielbesprochene gesunkene Niveau, und ich, immer für eine Begeisterung gut, möchte gleich annehmen, dass sich am trüben Horizont Morgenröte zeitigen möge. Man fahre nur in die Provinz und entdecke etwas, das inzwischen im städtischen Leben eher untergeht.

C.R. www.gedichtladen.de 19.10.2010