Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

ÜberMenschen

ÜberMenschen

Wieder muss der unvergleichlichen Juli Zeh ein Roman aus der Feder geflossen sein „Über Menschen“. Nachdem wir mit „Unter Leuten“ viel über die Landflucht erfahren hatten und sie die teilweise undurchsichtigen Typen in der Mark beschrieb, mehr an der Zahl als in dem Kammerstück, das sie jetzt zum besten gibt, wo sich viel zwischen drei Personen und einem Hund abspielt.

Die Hauptperson, in der wir die Autorin wiederzufinden glauben, ist diesmal die einzige, die aufs Land geflohen ist und sich scheinbar auch nicht vor einem einsamen Leben fürchtet in einem 400 Seelendorf. Die ganze Politik mit ihren Absurditäten und Anmaßungen saß ihr im Nacken, personifiziert in einem Lebenspartner, der von den panischen Anwandlungen, die in der Gesellschaft existieren, ganz gut zu leben versteht und sich die Dinge eben verzerrt haben, wo Mülltrennung wichtiger ist als innere Ruhe.

Vielleicht war es für Juli Zeh gar nicht abzusehen, als sie diese Dora das erste Mal auf den Gartenstuhl an der Mauer aus Hohlblockbausteinen steigen lässt und hinüberspähen nach dem Nachbarn (die Nachbarproblematik spielt in ihren Romanen ja immer eine große Rolle und sie hat da schon die skurrilsten Typen angesiedelt), aber gleichzeitig ist eben dieser Blick über die gleichnamige Mauer, ihr Blick und Lebensweg, der sie immer näher an die Menschen im Osten gebracht hat, die sie in Unterleuten etwas persiflierte und sich jetzt fast ausschließlich auf einen konzentrierte, der zunächst in das Schema passen sollte, das man sich beim Blick über die Mauer von diesen machte: einfältig und kulturlos ein wenig. Noch kommt sie nicht dahinter, was es ausmachte, dass diese Menschen das geworden sind, was sie zunehmend zu lieben beginnt, eher noch als Bewunderung zu bezeichnen, wie man im hier und jetzt angekommen sein kann, seine Autonomie bewahrt und alle herbeiphilosophierten Abgründe ins Reich der geld- und anerkennungssüchtigen Welt verweist, in denen eben Übermenschen nicht zu finden sein werden. Überhaupt den Begriff des Übermenschen wieder ins Bild zu rücken, ist schon ein gefährliches Unterfangen, aber dazu ist ein Roman lang, um solche Entwicklungen aufzeigen zu können, und wir wollen hier nicht verraten, wer mit dem Begriff der Übermenschen gemeint sein könnte.

Im hier und jetzt sein können, seine Autonomie zu bewahren, authentisch sein und etwas für andere tun, das scheint die schlichte Lebensformel zu sein, auf die uns Juli Zeh aufmerksam machen möchte. Nebenher fällt auf, dass das in totalitären Regimen besser gelingt als in kraftlosen und die Orientierung erschwerenden sog. Demokratien, wobei diese Werte dann paradoxer Weise erst in diesen so recht zum Erblühen kommen und hervorscheinen. Sollte das einen nicht mit Dankbarkeit zu beiden Varianten erfüllen? In der einen ernährt man sich und kann sogar Reichtum erlangen, in der anderen nährt es die Seelen, sie bilden sich unter Zwängen.

Du wurdest fast zu einer Gotin
Doch reicht es nur zur Himmelsbotin
Und allverständig Hundepfoten
Liegen auf Schultern, die nicht
auszuloten

C.R. 23.8.2021