Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW36

Kleistisches

 

„Nur die vollen und über­schwäng­lichen Ge­nüs­se, die in dem er­freu­lichen An­schau­en der mora­lische Schön­heit unse­res eige­nen We­sens lie­gen“, stel­len das per­fekte Glück dar, nach dem alles strebt.
Diese Nabelschau empfiehlt uns kein anderer als Kleist, der ein Schwärmer war, wenn es um das eigene Ich ging oder dessen erfreu­liche Prospekte, wie „sich selbst auf eine Stufe näher der Gottheit zu stellen“.
Wollte man es nach heutigen Maßstäben bewerten, so war es Kleist schon Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen zum „Liebling der Unverstandenen mit zerrisse­nem Herzen“ zu avancieren.
Die Feuilletons sind voll von Betrachtungen über Kleist, er wird als einer der größten Dra­matiker Deutschlands gefeiert, obwohl seine Schaffensperiode eigentlich nicht länger als 10 Jahre war. Es war dies die Zeit der Napo­leonischen Siege, die er schwer ertrug und sich gern zum dichterischen Fanal eines to­talen Krieges gemacht hätte.
Wir nun sitzen mit zwei Dichterinnen am ge­deckten Kaffeetisch und anderthalb lange Stunden geht es um alles Mögliche: Filmhel­den, Heiler und ambitionierte Dichterkolle­gen. Immerhin schwärmt die eine für Kleist und hat eigens Material mitgebracht, das die Mode so heranschwemmte. Für den Gedicht­laden wird ein bisschen herauskopiert und ansonsten das Ende des small talks herbeige­sehnt, aber selbst, wenn man sagt, wollen wir jetzt nicht mal über unsere Dichtungen sprechen?, lebt die Ablenkung immer wieder auf, „tausend Gestalten und Dinge“, die wir doch ungerührt vorübergehen lassen sollten, wollten wir Kleists Ratschlägen folgen, der in solchen Gesprächen seinerzeit ein Sonderling war.
Dann endlich kann berichtet werden, wie der Kleist-Geist am Weltfriedentag, dementspre­chend unkriegerisch gestimmt, im Gedichtla­den erschienen war und zwecks besserem Auskommen ein Lob- und Preisgedicht in Sonettform für die Königin bestellte, was sogleich verfertigt wurde:

 

An Königin Luise
Von jenen Tagen, die Sie schwer durchlitten,
Vorangeleuchtet den Getreuen Preußens,
Mit Schönheit nie geseh‘nen Gleißens,
Wird sagen man: Sie prägten deutsche Sitten.
Fanal der Hoffnung, kämpferisch die Jugend,
Die des zerstörten Reiches Wagenstreiter;
Zu neuen Opfern macht sie noch bereiter,
Das Bild im Herzen Ihrer Treu und Tugend.
Oh Herrscherin, dem Vers kann nie gelingen,
Der ewgen Anmut, die uns strahlt zu singen;
Wie schwach der Abglanz gegen Ihren Hauch.
Oh Glorie, wo Deine Strahlen wohnen,
Ist auch die Königin, die Tapfren zu belohnen.
– Beiß zu du Franzenkatze, zisch und fauch!

 

Der Sohn im Hause des Gedichtladens, ein wahrer Katzenliebhaber, fragte, was denn eine Franzenkatze sei und erfuhr, dass dies eine Metapher für Napoleon sei.
Leider ist ja die bezaubernde preußische Königin Luise mit 34 dann schon 1810 verstorben, wobei wir nicht bestimmen können, ob das etwas mit dem Gedicht zu tun hatte, das Kleist schließlich ablieferte.
Der Kleist-Geist war weitgehend zufrieden, hielt aber das Ende für seines Stiles untypisch und hat dann wohl einige Veränderungen vorgenommen und ein etwas weniger Voll­kom­menes daraus gemacht. Geld hatte er auch nicht dabei, und als wir ihm eine Tasse Kaffees anboten, zog er ein Fläschchen Rum aus seinem Felleisen hervor und verdünnte ihn sich gehörig.
So leicht also konnten wir teilhaben an seiner Unsterblichkeit.

 

Im Waltersdorfe 4.9.2011