Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

offener Brief an Günter de Bruyn

Offener Brief
Sehr geehrter Günter de Bruyn

wir haben ja nun Ihren neuesten Roman „Der neunzigste Geburtstag“ vorliegen und er soll demnächst in unserem Literaturkreis besprochen werden, der nun von einem Paar geleitet wird, das die DDR Verhältnisse nur aus Büchern noch erfahren kann und wieviel liegt da an einem getreuen Bild. Das Buch hätte wohl auch heißen können „Leos Resümee“, denn es handelt eher von dem, autobiographische Züge tragenden Bruder Leydenfrost als von der konstruierten Schwester, der eigentlichen Jubilarin, auf die auch nicht so viel Mühe verwandt wurde, außer dass sie eine außerparlamentarische Karriere im Westen absolviert hatte, die sie mit den dort einschlägigen Gebrechen der Drogen, freien Liebe und hausbackenen Kommunismustensionen in Berührung gebracht hatte. Der Leo dagegen trägt Züge von Ihnen selbst, dem zwar sinnliche Anwandlungen auch nicht fremd sind, der aber eben auch ein am Aufstieg durch diktatorischen Zwang gehinderter Bibliothekar ist und seine Zeit im Osten verbracht hatte. Dieser erklärte Retter des geliebten Deutsch hätte nun wahrlich ein besseres Deutsch verdient, als dass es dieses Buch gleich auf den ersten Seiten bietet. Da wimmelt es im hölzernen Stil von politisierten Worthülsen mit denen man vielleicht noch zu Ostzeiten Ehre eingelegt hätte, aber der Rettung der deutschen Sprache schlägt es geradezu ins Gesicht. Nun weiß man nicht, ob Sie Opfer dieser ostdeutschen Provenienz sind, wo solches goutiert wurde, ob es einfach eine mangelnde Sprach- und Inhaltsbeherrschung ist oder ob Sie im vorgerückten Alter eine neue Stilistik entwerfen wollten, die es einem ob der Verballhornungen kalt den Rücken herunterlaufen lässt. Ich möchte nur das hanebüchenste Beispiel, des vielleicht romantischsten Augenblicks in der Bibliothekarslaufbahn des eigentlichen Helden anführen, der weitgehend Sie selber sind, als er nämlich in seinem Lesesaal einen „blondbehaarten Schädel“ entdeckt, wobei ersteres an Männerbeine und das zweite an Schädelstätte erinnert. Dies Buch hätten Sie uns ersparen sollen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Christian Rempel