Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW31 „Endlich“

Endlich

 

Versetzen wir uns ins Jahr 1922, wo Rilke an die Fürstin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe die folgenden Worte richtete

Endlich,
Fürstin,
endlich, der gesegnete, wie gesegnete Tag,
da ich Ihnen den Abschluss – so weit ich sehe – der Elegien anzeigen kann:
Zehn! …


Strenggenommen war Rilke da noch gar nicht ganz fertig, weil einige Verse noch fehlten und eine Elegie dann noch durch eine andere ersetzt wurde.

Ich wüsste nicht, wem ich sagen könnte:

Endlich, endlich sind die Seiten zu ende gedacht
Sechzehn!

Im Gegensatz zu Rilke kann ich mir nicht selber bestätigen, dass ich fertig bin, sondern muss noch das Urteil eines genauen Menschen abwarten, der so viel beschäftigt ist, dass ich als „Lieferant“ mich immer wieder in Erinnerung bringen muss und bitten, dass mein Urteil endlich werde.

Das wäre dann der Abschluss einer halbjährlichen Arbeit, bei der ich mich nicht nur an einen Baumstamm anzulehnen hatte und zu warten, dass es mir eingegeben wird, denn Rilke war der Meinung, nicht er hätte das alles geschrieben, sondern es sei über ihn gekommen.

Bei ihm bedurfte es erst eines Schlosses, auf dem er nicht zur Einkehr gekommen war, weil ihn seine Frauengeschichten beschäftig­ten, dann noch eines Schlosses, das er sich eigentlich nicht hätte leisten können und da gelang ihm, was acht Jahre, in denen auch der erste Weltkrieg stattgefunden hatte, liegengeblieben war, in nicht viel mehr als einer Woche.

Wie klein ist doch unsere Welt gegen die dieses einmaligen Dichters. Er hatte sich bei seinem Leben aus dem Koffer vor allem Einsamkeit erkämpft, bei allen reichen Kontakten, die er persönlich und brieflich unterhielt, und was er für Briefe schreiben konnte, die reinsten Kunstwerke.

Wir betteln nun darum, dass wir einen Schrei aussenden können, der in der „Engel Ordnungen“ wenigstens gehört wird. Rilke war auch manchmal nach Schreien, er sehnte sich nach einem Arbeitszimmer, in dem er auf und abgehen könne, rezitieren, was er ausgezeichnet verstand, und zu allem Überfluss auch weinen, woran er ein tiefes Defizit hatte und es gar nicht so unmännlich gefunden hätte.

Vielleicht steht das Weinen so auf der Wunschliste des Dichters, weil es die Reaktion ist, die er gern hervorrufen möchte. Indem er es erlebt, könnte er sich der Vermittlung dieser Gefühls­regung auch etwas näher bringen.

Würde man sonst ausgerechnet Elegien als Hauptwerk schaffen?

Christian Rempel im Waltersdorfe, den 1.8.2015