Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Nach den Nachwehen des Festes der Stille

Nach den Nachwehen des Festes der Stille

 

Das zweite Fest der Stille im vergangenen Jahr war noch umfangreicher vorbereitet worden als das erste und der Umsatz konnte auch gesteigert werden, d,h, die Ausgaben lagen etwa um dreißig Prozent höher und es haben sich noch mehr an den Vor- und Nachbereitungen beteiligt. Vor allem haben wir selbst auch noch mehr investiert. Dem Ehrgeiz, wiederum natürliche Tannengirlanden zu verwenden, war der Bau einer entsprechenden Vorrichtung, einer Tannengirlandenmaschine geschuldet. Für die Tombola wurde eigens ein Glücksrad gebaut und diese wurde auch der größte Erfolg, weil es uns wirklich gelungen war, tolle Preise zusammenzubekommen und die Leute, die gern nur mal vorbeischaun und schnell wieder gehen, zum Ausharren bis zur Ziehung der Hauptpreise bewegt wurden. Die Bratwürste waren wirklich aus Thüringen eigens herangeschafft und wir hatten den Bedarf etwas überschätzt, so dass einige Pakete noch zum Einkaufspreis verschleudert werden mussten, die dann bis zum Sommer teilweise in den Tiefkühltruhen ausharrten, bis zum Beginn der eigentlichen Grillsaison. Auch die Stollen vom Bäcker Rauer, die im Jahr davor wie warme Semmeln gegangen waren, mussten zu Dankgeschenken an die Sponsoren umgewidmet werden. Ebenfalls sitzengeblieben waren wir auf einer beträchtlichen Zahl von vorgebackenen Pfefferkuchen und den meisten der Pfefferkuchenhausbausätze von Ikea.
Ich hatte über eine Woche zu tun, das alles an den Mann zu bringen und mich für die Unterstützung, die uns von so vielen Seiten zugeflossen war, zu bedanken. So einen Dank hatte ich auch der Firma FMT abzustatten, die in Teltow gelegen ist und mir noch aus dem Berufsleben in guter Erinnerung geblieben, das Herzstück der Tannengirlandenmaschine, den Lagersitz, gedreht hatten. Das Video von der Maschine in Aktion löste auch einige Freude aus, aber dass sich der Weg lohne, hatte ich noch einige Pfefferkuchenhausbausätze eingepackt und dachte, man könne doch mal mit den Kindergartenkindern in Rotberg einige aufbauen. Ich bin in dieser Einrichtung kein Fremder und hatte in der Anfangszeit des Gedichtladens dort auch schon mal ein bisschen für Unterhaltung gesorgt. Als ich auf dem Rückweg von Teltow dort heranfuhr, hatten sie auch tatsächlich gerade nicht weiter zu tun und ich erhielt die Erlaubnis mit etwa fünf Kindern solche Pfefferkuchenhäuser aufzubauen. Den Zuckerguss habe ich mit dem Naturmittel Tragant verfestigt, auf das ich durch die Beschäftigung mit E.T.H. Hoffmanns Nussknacker gekommen war, wo von Tragantpüppchen die Rede ist. Da haben wir dann dieses ziemlich teure Naturmittel ausfindig gemacht und hatten einige Vorräte, weil nicht alles zum Verzieren der Pfefferkuchen verbraucht wurde. Nun hätte man erwarten können, dass sich die mir bekannte Chefin der Kindereinrichtung Cordula gefreut hätte, dass ich ihren Kindern eine Unterhaltung bot. Sie war nicht da, als ich eintraf, aber erschien dann, als die Häuschen schon fertig dastanden. Nicht etwa, dass sie sich bedankt hätte, vielmehr erhielt ich eine Abreibung, was mir denn einfiele, einfach so hereinzuschneien und so eine Aktion zu starten. Ich hätte erst das Einverständnis der Eltern einholen müssen. Es war sogar von einem Führungszeugnis die Rede. Wie ein Schwerverbrecher oder Sittenstrolch wurde ich abserviert, kein Dank und kein Aufwiedersehen und zu Hause angekommen hat sich meiner auch gehörig das schlechte Gewissen bemächtigt, gerade auch auf das Tragant bezogen, auf das man ja auch allergisch reagieren kann, wie auf viele Naturmittel, und ich malte mir aus, wie die Polizei mich schon in Gewahrsam nehmen wolle und ich mich vor dem Staate zu verantworten habe für meine Eigenmächtigkeit.
In der Kita Spatzennenst in Schönefeld war ich schlauer und hatte mich einen Tag vorher angemeldet und wurde auch wesentlich freundlicher aufgenommen. Erst wollten auf Befragen nicht allzu viele Kinder, aber dann waren es doch an die zwanzig. Eine Erzieherin begleitete mich mit den Kindern in die Küche, wo einige Tische und Stühlchen standen. Man hätte meinen können, dass mir eine der Erzieherinnen geholfen hätte, aber sie notierte nur kurz die Namen der Kinder und überließ mir dann die ganze Blase, denen die ersten Teile schon beim Auspacken zerbrachen. Dann Hilferufe und Flüche von tausend Seiten. Ich tat, beriet und half so gut ich konnte, aber die Ausbeute war trotzdem gering. Vielleicht hatte ich auch den Zuckerguss zu dünn angerührt, jedenfalls erforderte es mehr Geduld als die meisten der Kinder, die dort auch ein buntes Völkergemisch sind, hatten. Von den zwanzig standen dann etwa vier Häuser und zwei davon hatten vietnamesische Mädchen aufgestellt, die nicht ein Mal meine Hilfe in Anspruch genommen hatten, aber geduldig und geschickt vorgegangen waren. Die gelungenen Häuser wurden in rührender Weise nach Hause transportiert, was in diesem Neubaugebiet keinen weiten Weg bedeutet, aber ich hatte dann noch eine Weile mit den Aufräumarbeiten zu tun.
Die normale Konsequenz von solchen Erlebnissen ist zu sagen: „Nie wieder“, doch sollte man das Leben an abweisenden oder müßigen Erzieherinnen messen? Es ist so viel an Spontanität erstickt, sind gutgemeinte Initiativen ins Leere laufen gelassen, dass man einfach nicht aufhören sollte, immer wieder gegen diese Gummiwand anzuspringen.
Es erübrigt sich zu sagen, dass, als ich dann mit den restlichen sieben Pfefferkuchenhäusern in eine psychiatrische Einrichtung gezogen bin, ich dort von der Schwester nicht ohne Anteilnahme gefragt wurde, ob ich etwa manisch sei. Da habe ich mich nicht getraut, noch einmal mein Glück mit der Spontanität zu versuchen und eine Aktion mit den Patienten zu unternehmen, sondern überließ die Sache mit den Pfefferkuchenhäusern ihrem Schicksal, das sicher in einem Müllcontai­ner endigte. Zu schnell kann sich der Verdacht einer psychischen Störung verdichten und man wird mal eben zur Sicherheit einer mehrwöchigen Beobachtung unterzogen und ebenfalls nur zum eigenen Besten mit einer gehörigen Dosis an Psychopharmaka „behandelt“.
Erst jetzt, nach einem halben Jahr und verstrichener Karenzzeit für Tragantallergien, kann man mit Sicherheit sagen, dass man nicht verrückt war, was mit manisch ja nur wohlwollend umschrieben wird. Allerdings werden die Kinder, die sich damals über die Pfefferkuchenhäuser gefreut haben, dieses Kindheitserlebnis auch schon wieder verdrängt haben. Es bleibt noch ein knappes halbes Jahr sich zu überlegen, ob man es noch mal mit den Urgewalten aufnehmen möchte, die darauf hinarbeiten zu sagen, das ist nur etwas für Verrückte.

C.R. 5.7.2013