Die Menschen, die nur einmal im Leben lieben, sind in Wahrheit die Oberflächlichen. Was sie ihre Treue nennen, nenne ich entweder die Trägheit der Gewohnheit oder ihren Mangel an Phantasie
Die einzige Methode einer Versuchung zu entgehen, ist sich ihr hinzugeben
Lachen ist wirklich kein schlechter Anfang für eine Freundschaft und bei weitem ihr bester Schluss
In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte, und die andere ist, es zu bekommen. Erstere ist schmerzlicher, letztere die wahre Tragödie
Ich will dir meine Seele zeigen. Du sollst das Ding sehen, von dem du dir einbildest, nur Gott könne es sehen
Es ist immer etwas Lächerliches um die Gefühle der Menschen, die man zu lieben aufgehört hat
Der Anblick schlechter Schauspiele schadet unserer Moral
Frauen flößen uns das Verlangen ein Meisterwerke zu schaffen und immer hindern sie uns, sie auszuführen
Nur auf eine einzige Art vermag eine Frau einen Mann zu bessern; sie quält ihn so durch und durch, dass er jedes Interesse am Leben verliert
Dinge … im Einklang mit unseren Launen und Leidenschaften erzittern, Atom zu Atom in geheimer Liebe und seltsamer Verwandtschaft Zwiesprache führen?
Caputh 11: unbeschreibliches Wissen in Gerüchen, Musik, Steinen, Gobelins – Intrigen
Wenn eine Frau zum zweiten Male heiratet, so geschieht das, weil sie ihren ersten Mann hasste, wenn ein Mann zum zweiten Male heiratet, so geschieht das, weil er seine Frau vergötterte
Man kann mit jeder Frau glücklich sein, solange man sie nicht liebt
Ich liebe Männer, die eine Zukunft haben, und Frauen, die eine Vergangenheit haben
Ich gebe zwar zu, dass es besser ist schön zu sein als gut. Andererseits erkennt niemand bereitwilliger an als ich, dass es besser ist gut zu sein als hässlich.
Das ist eine ganze Seite von Aphorismen, die ich beim Wiederlesen des einzigen Romans des geistreichen Oscar Wilde „Das Bildnis des Dorian Gray“ auffand, die zum Teil herrlich paradox sind, so dass man sich der Allwissenheit der Engländer gerne verschwistern würde, die ich auch zu einem guten Teil bei meiner Hochzeitsrede anno 2002 verwendet habe und die mir die Ablehnung mindestens einer Schwägerin eintrugen, weil sie doch zum Teil frauenfeindlich sind, so frauenfeindlich, dass es scheinbar viele Engländer eher mit ihren Geschlechtsgenossen auch im Bett halten, mit denen sie doch in solcherart geistiger Eintracht leben können.
Man könnte von Bonmots sprechen, wenn diese Bezeichnung nicht von den Franzosen her stammte, die es zu schätzen wissen dem schönen Geschlecht zu gefallen und die Wonnen der zweigeschlechtlichen Liebe einzuheimsen, die vielleicht der Dank ist für eine gewisse Zurückhaltung – dem schönen Geschlecht nicht unbedingt auf die Nase zu binden, dass es vorwiegend ein „dekoratives“ sei.
Auch einer Rezension verdanke ich die Erkenntnis von einer „Achse“ des Buches, die das Kapitel 11 darstellt. Daraus habe ich kein Zitat ziehen können, trotz der ganzen irisierenden Faktenwelt, die dort ausgebreitet ist und es einem recht unwahrscheinlich vorkommt, dass ein Individuum überhaupt ein so umfassendes Wissen haben kann, wie dort zusammengeballt ist und die Beschäftigungen beschreiben soll, deren der Dorian Gray in über einem Jahrzehnt nachging, die sehr viel mit Wohlstand und Muße zu tun haben, eigentlich weniger mit der Anhäufung von Sünden, aber eine Zeit beschreiben, in der man gewöhnlicher Weise altert, und das ist ja nun dem Helden wunschgemäß zumindest äußerlich nicht anzumerken. Diese Ansammlung von Merkwürdigkeiten zusammenzustellen muss eine titanische Arbeit gewesen sein, indem sie aber dem Protagonisten angedichtet wird, wundert man sich doch, dass diese ganze Vielwisserei offenbar ebenso spurlos am Helden vorbeiging wie am weiteren Romanverlauf, der dann als eine Mischung aus Krimi und davon fast unberührtem Salonleben seinen Fortgang nimmt. Diese Achse war mir beim ersten Lesen gar nicht aufgefallen, was wohl den meisten Rezipienten so geht, und man könnte viel Zeit verbringen, diesem Konvolut allein, herausgelöst von der ganzen spektakulären Handlung des Buches, nachzugehen.
Dann tröpfeln wieder, neben der kriminellen Handlung, die frauenfeindlichen Aphorismen herein, bis das Buch dann zum Ende kommt, wo freilich zur bloßen Illusion erklärt wird, dass das Bild an seiner statt gealtert sein könnte, dass also doch alles seinen gesetzmäßigen Gang gegangen sei.
Die Zitate enthalten nur Feststellungen, die man teilen oder ablehnen kann, aber der mindeste Effekt doch ist, dass man sagt, aha, so könnte es eben auch sein. Das ganze Buch enthält nur ein nichtbanales Fragezeichen. Auch das haben wir herausgesucht und in die Zitatensammlung mit eingegliedert. Auch das war mir beim ersten Lesen nicht aufgefallen, ist aber meine liebste Idee. Seltsam ist auch, dass nach diesem einzigen richtigen Fragezeichen bald die Achse kommt, um die die ganze Handlung kippt.
Selbst nach zehn Jahren Ehe bin ich noch immer nicht zum Skeptiker in dieser Sache geworden, bin aber auch nicht mehr so blauäugig, dass ich Wildes Sentenzen für absolut verbindlich halten und daraus eine Überlegenheit des männlichen Geschlechts ableiten würde. Nicht, dass ich mich einem weiblichen Veränderungsstreben unterworfen fühlte, was mir nach Wilde als einzige Qual erscheinen müsste, auf dass ich das Interesse am Leben verloren hätte. Viel mehr scheint mir das Absurde im Geschlechterverkehr etwas ferner und die meisten Aphorismen, sämtlich ohne Fragezeichen, doch eher fraglich.
Dinge … im Einklang mit unseren Launen und Leidenschaften erzittern, Atom zu Atom in geheimer Liebe und seltsamer Verwandtschaft Zwiesprache führen?
Man ist doch immer auf der Suche nach dem Schicksalhaften, Unergründlichen und versucht das aufzufinden in einem durch und durch alltäglichen Leben. Wenn aber heute Andrea nach Hause kommt, die Ermahnung ihrer Chefin zitierend, sie möge ihren Husten „disziplinieren“ und sie noch darauf hinweist, dass Disziplin doch eines meiner Lieblingswörter ist, auch wenn ich sie nirgends einfordere, so doch, glaube ich, ihre Bedeutung wiederentdeckt habend, wobei ich hätte einwenden müssen, dass ich in der Mikrowelt doch ein Begriffspaar als maßgeblich entdeckte, nämlich „Freiheit und Disziplin“, und das eben weniger den Menschen zuschrieb, sondern den Entitäten, wie der Philosoph Whitehead sagte – nicht nur den Atomen, wie uns Wilde zuraunt, sondern eben nicht so allgemein wie ein Philosoph und nicht zu konkret, wie ein Schriftsteller, sondern allen Teilchen zugedacht, die der Quantentheorie folgen. Sie haben die seltsamste Verwandtschaft, nämlich die der Ununterscheidbarkeit, was ja weniger ist als die wirkliche Abwesenheit von Individualität. Sie könnten in einer Weise wechselwirken, wie es selbst für menschliche Gesellschaften undenkbar ist, und wenn man sich befragt, was beim Wilde-Zitat wohl die geheime Liebe zu bedeuten hat, so ist dahinter nicht die Eigenliebe zu vermuten, sondern die Liebe zu der anderen Welt, zu unserer Welt und deren Welt so geheimnisvoll ist, dass wir von ihr nicht die geringste Vorstellung haben. Auch die Launen und Leidenschaften können sie zwar an uns beobachten und erzittern, also mitfühlen, können, sofern sie selbst solchen unterworfen, aber nicht aus der Disziplin der Naturgesetze heraustreten, und wenn, dann nur ein einziges Mal, was dann zweifellos das absolute Inferno wäre.
Schade, dass Wilde, der ja vor der Entdeckung der Quantentheorie starb, dem Gedanken nicht weiter nachgeht, sondern die Kippachse kommen lässt, in der er noch mal alles angesammelte Wissen aufleuchten lässt. Hätte er diesen Gedanken konsequenter ausgeführt, nicht mit der Vielwisserei des Kapitels 11 darüber hinweggewischt, welchen Kredit hätte er der Menschheit schaffen können für das, was sie wenige Jahrzehnte später mathematisch erfassen würde, ohne imstande zu sein, auch nur ahnungsweise an diese dichterische Aussage heranzureichen, das Neue nur praktisch nutzend, weder das Potenzial erfühlend noch die Gefahren einer solchen Ignoranz antizipierend.
Gut, dass ich diesen Roman, bei dem ich inzwischen verstehen kann, dass der eine oder andere nichts an ihm findet, noch mal gründlich durchgelesen habe. Natürlich hätte man aus „Freiheit und Disziplin“ der Mikroentitäten keine verständliche Handlung mehr hingekriegt, aber man kann ungefähr erahnen, an welchem Knackpunkt Wilde angelangt war, als er den Hebel dann zum Krimi und Schicksalsroman umlegte und nur noch vergleichsweise wenige Weisheiten mehr einstreute. Danke Oscar!
C.R. 21.1.2013
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