Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW32

Hey Antlantis!

 

Platon wollte seine Geschichte von Antlantis, die er seinem Lehrer Sokrates folgend in Dialoge fasste, nicht als Dichtung, sondern als Überlieferung gelten lassen. Man war auch damals schon ein bisschen nostalgisch und erinnerte sich anhand der Atlantisge­schichte eines Urathens, das eine reine Landmacht war und sich der Seefahrt völlig entschlug.


Vielleicht hätte er mit einer Dichtung sogar mehr Erfolg gehabt, denn Homer, der Sagendichter, übertraf den Philosophen Platon noch um einiges, wenn man zum Beispiel an die Popularität der Odysseus-Sage denkt. Homer beschreibt darin auch einen solchen Synthesestaat, das Phäakenland, von dem Historiker herausfanden, dass er große Ähnlichkeit mit Atlantis hatte.

In Atlantis soll der Meeresgott Poseidon verehrt worden sein, von dem wiederum die Sage berichtet, dass er Sohn des Atlas war, der bekanntlich das Himmelsgewölbe zu tragen hat und so leitet sich der Begriff Atlantis vom Gott Atlas her. Das Land soll jenseits der Säulen des Herakles gelegen haben, die man bei Gibraltar auf der spani­schen Seite ansiedelt und die eben eine Sym­bolisierung von Atlas gewesen sein sollen, dem Namenspatron von Atlantis, und mithin lag Atlantis jenseits des „Endes der Welt“.

Die Atlanter sollen in einer ungewissen Zeit, die 9000 oder auch nur 1500 vor der Zeit­rech­nung gelebt haben, fast den gesamten Mittelmeerraum erobert haben und nur letztlich von den Ägyptern geschla­gen worden sein. Mitten auf dieser großen Seefahrt, denen die Griechen nostalgische Bedenken entgegensetzten, soll dann das Heimatland Atlantis in einer Nacht vernichtet worden sein und damit die Atlanter völlig aufgerieben.

Den schicksalsgläubigen Griechen galt das als verdiente Strafe für die Selbstüberhebung durch die Welteroberungspläne. Gleichzeitig fragte man sich aber nach den Ursprüngen der Macht von Atlantis und gab damit einem weiteren Impuls nach, nämlich einen gut­funk­tio­nierenden Staat und insbesondere die Königsstadt (Basileia) aus der Imagination heraus zu konstruieren, wobei man vorgeben konnte, dass es sich dabei sogar um eine Rekonstruktion handelte.

Damit waren Schleusen geöffnet, die über das europäische Mittelalter bis hin in die heutige Unterhaltungsindustrie Spekula­tionen in ein historisches Gewand kleideten, wie eine relativ fortgeschrittene Zivilisation ausgesehen haben möge, wie eine Idee besser funktionieren könnte, als die wirkliche Geschichte, wobei man den Reiz benutzte, dass es sich bei der Idee möglicherweise um eine wirkliche Geschichte hätte handeln können.

Die Jacke kann sich nun anziehen, wer will. Selbst wir können die Atlanter und zum Bei­spiel Helgoland die Basileia gewesen sein, denn tatsächlich waren weite Wattengebiete um das Felsenriff früher Land, und als sie überschwemmt wurden, drängten die Nordvölker schon ca. 1500 vor der Zeit nach Süden bis Ägypten vor.

Angefangen von der Kontinentaldrift, Eis­zeiten, dem Volllaufen des Schwarzen Mee­res etwa 5000 vor der Zeit, gele­gentlichen Vulkanausbrüchen und Flut­wellen, gab es genug Ereignisse, die einem in unbestimm­barer Zeit und unbekanntem Ort angesiedel­ten Inselreich den Garaus hatten machen können. So liest sich die ganze Atlantisstory heute auch als Ökomärchen, dessen man sich heute gut bedienen kann, um unsere Selbstüberhebung – zwar nicht mehr in krie­gerischen Eroberungen, aber dem Überzie­hen des ganzen Globus mit einer Wirt-schaftshybris – vielleicht doch noch bestraft zu sehen, wofür dann vielleicht eine einzige Nacht genügen sollte.

Im Waltersdorfe 5.8.2012