Der Gedichtladen

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Kolumne KW 23 2018 „Distinktionsgebaren“

Distinktionsgebaren 

Der offenbar Schweizer Philosoph Robert Pfaller hat wirklich sehr vernünftige Ansichten. Er war eigentlich zu der Frage interviewt worden, ob das „Zartsprechen“ ein Lapsus der Linken wäre, mit dem sie sich selbst ein Bein stellen. Bei all den verbalen Verwirrungen und politischem Sprechen, wie man es auch in der Schule verzeichnen kann, wenn zum Beispiel von SuS die Rede ist, womit weder ein Notruf (oder vielleicht doch?) noch ein U-Boot gemeint ist, sondern Schülerinnen und Schüler, was hochgradig albern ist und man sofort wüsste, wenn von Schülern die Rede ist, dass damit auch die Mädchen gemeint sind, solche Verwirrungen und Umständlichkeiten gibt es natürlich, aber der Kern bliebe wohl, dass jeder ein vernünftiges Auskommen haben sollte, das würde dann solche Verwerfungen, wie es der heutige Verlust an Solidarität darstellt, wie von selber lösen.

Da fühlen sich doch heute Studentinnen, die das zweifelhafte Fach gewählt haben, Exegetinnen (Ausleger, denn schöpferisch ist das selten) von Philosophen zu werden, von Immanuel Kant seelisch verletzt und ertragen es nicht mehr, ihn studieren zu müssen. Wie muss es einem da erst bei Freud mit dessen Phallustheorie gehen. Man wird förmlich von Worten vergewaltigt und reiht sich freudig in die me too Bewegung ein, wo bei aller Berechtigung eben wieder mal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird und jeder Flirt als Angriff auf die Jungfräulichkeit gewertet. Pfaller macht klar, wie lebensfeindlich eine solche Einstellung ist, ohne allerdings bei der Konsequenz anzulangen, dass sich die Menschheit so langsam selbst demontiert.

Alle möglichen Befindlichkeiten sind eben heute Gegenstand der Eitelkeit geworden, gepaart mit einem Gesundheitswahn und Vorsichtelei. Anders sind Moden wie veganes Essen nicht zu erklären, wobei dann jeder gemaßregelt werden soll, der noch Fleisch isst oder gar raucht. Man kokettiert mit nie dagewesenen Allergien und erfindet Wundermittel dagegen, sodass man unwillkürlich an den alten Fritzen erinnert wird, der seinen Soldaten sagte: „Kerls, wollt ihr ewig leben?“ Je mehr man sich vom Durchschnitt unterscheidet, in Ess- und Lebensgewohnheiten und dabei der unbändigen Lust frönt, diese auf andere zu übertragen, desto distinguierter (also mit einem gewollten Abstand) kann man sich geben. Das kann man eben nur Distinktionsgebaren nennen, was für einige jegliche Lebensleistung ersetzt.

Christian Rempel in Zeuthen, den 10.6.2018