Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 52 2018 „Minierwerkzeug Fontane“

Minierwerkzeug Fontane? 

Indem sie Gestalten Leben einzuhauchen vermögen, behaupten die Schriftsteller eine eigene geistige Existenz, die, wenn es gelingt, sie zeitlichem und politischem Tagesgeschäft überlegen machen. Sie da als Werkzeuge zu sehen, ist denn wohl allzu egoistisch gedacht und greift viel zu kurz, denn sie selbst ziehen aus ihrer Existenz eben als Dichter eine eigene Heiligkeit, die dann allein ihnen und gar nicht so sehr nur ihren unbestreitbaren Werken zukommt. Zeichen dieser Ehrfurcht vor den Dichtern und Schriftstellern selbst war denn auch die DDR Rezeption, die diesen zwar zumutete, eben nur ahndungsvoll den Zügen der neuen Zeiten gegenübergestanden zu haben, aber eben auch in Ermangelung des Religiösen, diese neben den ökonomischen Genies auch als Genies gelten zu lassen.

Der gute Schriftsteller erwacht zu eigenem Leben und Verehrungswürdigkeit, indem er eben Fiktives lebendig machen kann, sodass einem das beständige Türenknallen der Madame Chauchat im Zauberberg zu einem bleibenden und lebendigen Erlebnis werden kann, als wäre es von irgendwie erinnernswerter Bedeutung. Dass nun Thomas Mann, der auch nur zur Höchstform auflaufen konnte, wenn er biblische Vorlagen, wie die Josef und Jakobgeschichte ausmalte, sich dann dazu versteigt, dass Fontane «das schärfste Minierwerkzeug» gewesen sein könne und die Frage, wofür dieses hatte gut sein können, die demokratische Aufklärung ins Feld führt, hört sich zwar gut an, greift aber doch wohl zu kurz, denn es stellt gerade jene Anwendung aufs Politische dar, das fast allen Schöngeist zu ersticken drohte und sich erst in den letzten Jahrzehnten wenigstens aufgelöst hat, wo allen klargeworden ist, dass Politik auch nichts weiter als allgemeine Ratlosigkeit ist.

Da wir nun das Demokratische am Boden sehen, in der Brache des Nichtmehrfunktionierenwollens und der Lebensfremdheit, könnte man Fontane doch durchaus wieder wörtlichen nehmen, der zwar angeblich den Adel so gestalten hätte, wie er sein sollte und nicht wie er war, aber dann eben ein Utopist im besten Sinne war, indem er auf das Bewahrenswerte verwies, was man im Zuge proletarischer Vereinfachung schon auf den Müllhaufen befördern wollte. Da sich doch fast jeder heute den geistigen Reichtum des zugegebenermaßen idealisierten Adels im Grunde leisten könnte, wenn nicht die Schwierigkeit im Wege stünde, dass das auch Mühe macht, so kommen wir eben zu einer sehr persönlichen Differenzierung, in der es gar nicht mehr von Belang ist, ob man Adliger oder Kleinbürger ist, sondern man kommt zu der eigentlichen kommunistischen Vision, dass in einem von materiellen Nöten befreiten Umfeld eben nur noch die menschlichen Werte der Kultivierung bedürfen und man sich so entfalte, wie es die besten Romanschreiber, Maler und Bildhauer sich je vorgestellt haben. Diese Künste, sollten sie sich nicht vorher selber abschaffen wollen, könnten Bestandteil fast jedes Menschen werden, der dann nach Belieben in die Rolle eines Arbeitgebers, Politikers oder Naturforschers versetzt sein kann.

Man konnte sich schon immer fragen, was der Mensch im Kommunismus, wo es ja dann nach seinen Bedürfnissen gehen sollte, dann eigentlich den lieben langen Tag machen soll (das ist sicher auch meiner Rentnerperspektive geschuldet, die ja so eine Art kleiner Kommunismus ist). Dann bestünde immer noch die Notwendigkeit, sich weiterzuentwickeln und auch ein wenig für Unterhaltung zu sorgen, und wie ginge das ohne große deutsche Schriftsteller?

Christian Rempel in Zeuthen, den 25.12.2018