Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 51 2018 „Vorausschau“

Vorausschau 

Eigentlich sollte man noch Jahresrückblicke halten, aber wenn einem nicht danach ist, kann man auch mal auf das nächste Jahr schauen, das ja ein Fontanejahr wird.

Die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, wo Deutschland zum zweiten Mal als Reich auferstanden war, hatte der Kunst ja nicht gerade viele Impulse gebracht. Es war wohl ein sehr politisches Halbjahrhundert, und es ist ja bekannt, dass Politik der Schreibkunst nicht gerade wohltut. Aus dieser damals entstandenen Wüste ragt eben unser Fontane hervor, der der märkischen Kargheit, die Kleist noch eher für Meerestiere geeignet erschien, sehr viel abgewinnen konnte. Er liebt seine Streusandbüchse und weiß den einen oder anderen menschlichen Schatz zu heben, bei dem auch die Liebe und die damit einhergehende Poesie nicht zu kurz kommt.

Irgendwie ist Fontane eine Winterlektüre für lange Abende, und die Pensionärinnen der Bibliothek hatten sich eine kleine Lesung aus «Vor dem Sturm» vorgenommen, der ja eine rechte Weihnachtsgeschichte ist. Man erhebt sich nicht gleich in ein königliches Ambiente, wenn man ihn liest, aber in die Behaglichkeit des mittleren Adels, was heute wohl den Lebensbedingungen der meisten entsprechen könnte, wenn sie nur halb so viel Geist hätten. Meistens gesellt sich zu einer alteingesessenen Adelsfamilie ein Pfarrer und ein Lehrer, die meist interessant gezeichnet sind, und zu dem liebenswerten Vater ein einigermaßen müßiger Sohn, der eigentlich schon zu lange gewartet hat, um sich noch jung vermählen zu können und der meistens auch abseits, also in Berlin lebt. Manchmal tauchen auch volkstümliche Figuren auf, wie die Hoppemarieken im Sturm oder eben ein treuer Diener. Es gibt kaum völlig abzulehnende Charaktere, aber sie sind in ihrer Liebenswertheit unterschiedlich genug, dass sich interessante Dialoge entspinnen können. Die Romane sind auf niveauvolle Weise eben auch unterhaltsam.

Jetzt habe ich zu einem Klassiker gegriffen, den Stechlin, was Fontanes Alters- und Meisterwerk ist. Das wird mich sicher über die Feiertage begleiten, denn eine Regel besagt ja, dass Lesen am Tag liederlich ist. Wenn aber nichts weiter zu tun ist, kann man sich ein bisschen Liederlichkeit ruhig leisten.

Ihnen auch schöne Festtage!

Christian Rempel in Zeuthen, den 22.12.2018