Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 07 2018 „Der werfe den ersten Stein“

… der werfe den ersten Stein 

Kann man an einen kranken Menschen Erwartungen stellen? Könnte man nicht selbst früher oder später dieser kranke Mensch sein, der schwerwiegende Fehler gemacht hat und hoffen, dass sich keiner findet, den ersten Stein zu nehmen, auf den es immer ankommt und dann ganz andere Gesetze diktieren, ob daraus ein tödlicher Hagel wird?

Vielleicht ist dieses Bild auch zu alt- oder zu neutestamentarisch, auf jeden Fall testamentarisch, und man meint, es passe nicht mehr in die heutige Zeit, und wünschenswert wäre es doch, wenn gar keine Steine mehr geworfen würden. An die Stelle solch menschengrausamen Richterspruchs tritt aber das Leben selbst. Es wirft noch mit Steinen. Da können blühende junge Frauen oder junge Männer in wenigen Jahren zu Greisen werden, und man kann das mit Abstand sehen und für ungerecht oder selbstverschuldet halten. Das beim eigenen Fleisch und Blut mitanzusehen, gelingt wohl den wenigsten.

Da ist dann nach seiner eigenen Erfahrung jeder gefragt und muss in sich gehen, wie es dahin hatte kommen können. Man kann sich bequem im Leben einrichten, wenn man als Vater die ganze Verantwortung abgibt und in die Hände seiner Frau legt, da ja Frauen besonders begabt in der Empathie sind. Zu viel Verständnis gehabt zu haben, kann man selten zu einem Vorwurf ummünzen, das scheint immer richtig gewesen zu sein, und doch führt es nicht selten in einen Zustand der Unordnung und Verwahrlosung.

Das blinde Leben an die Stelle einer bedachten Handlung zu stellen, es zuschlagen zu lassen, wie sich kein Elternteil es sich heute mehr gestattet, kann unwiederbringliche Folgen nach sich ziehen, man sollte das verhindern, doch wo liegt der Weg dorthin. Das männliche Element der Erziehung ist viel eher auch durch Konfrontation gekennzeichnet, die so tiefgehend sein kann, dass sie Wunden schlägt, die manchmal erst nach Jahren heilen, aber die notwendig sein können, wie der rettende Schnitt eines Chirurgen. Es soll tatsächlich schon junge Leute geben, die rückblickend ihren Eltern den Vorwurf der mangelnden Konsequenz machen, die einen hätte bewahren können vor manchen Fehlern, die nicht erst durchlebt sein wollen, um dann selbst auf den Trichter zu kommen.

Die Wahrheit in der Erziehung ist eine bewegliche und nie ist man frei von Schuld, so dass man bei Lichte besehen mit einem Päckchen aus dem Leben geht, wo manche mit Recht sagen könnten: Na endlich!

Christian Rempel in Zeuthen, den 17.2.2018