Der Gedichtladen

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Kolumne KW 47 2017 „Wirklich harmonisch“

Wirklich harmonisch 

Meine Liebe zur Geometrie ist mal wieder erwacht und ich meinte, ich hätte schon anderthalb Jahre meinen Zirkelkasten nicht mehr geöffnet und hatte Mühe ihn überhaupt zu finden. In der Politik geht es ja meistens nicht sonderlich harmonisch zu, aber so etwas wie eine gleichmäßige Kreisbewegung oder die Bewegung unter dem Einfluss einer linear mit dem Abstand von einer Ruhelage zunehmende Kraft, verschaffen uns in der Physik solche Erlebnisse.

So eine harmonische Bewegung, die man mit einem Sinus oder Kosinus beschreiben kann, entsteht zum Beispiel, wenn man senkrecht zur Rotationsachse einen Schattenwurf eines auf einer Kreisbahn befindlichen Körpers unternimmt. Er scheint sich dann auf und ab zu bewegen, wobei er in der Mitte am schnellsten ist und an den Umkehrpunkten zu verharren scheint. Beispiele für eine solche harmonische Bewegung findet man überall und man kann zum Beispiel den Sonnenmittagsstand über das Jahr betrachten. Da steht sie zum Sommeranfang am höchsten und Weihnachten am niedrigsten.

Doch harmonisch nennen sich die Sinus- und Kosinusfunktion auch, weil sie sich addieren lassen. Wenn zwei solcher Funktionsdiagramme gegeneinander seitlich verschoben sind, man spricht dann von einer Phasenverschiebung, bleibt die Summe eine harmonische Funktion, ist also wieder ein Sinus. Sogar wenn man diese Summenden mit unterschiedlichen Amplituden versieht, kommt immer noch ein Sinus heraus.

In dem Schattenbildmodell ist das gar keine Schwierigkeit zu verstehen. Da bedeutet die Addition zweier Sinusfunktionen nichts anderes, als dass man am ersten Punkt einen zusätzlichen Hebel für einen zweiten Punkt anbringt, der einen Winkel zum ersten aufweisen kann, was dann die Phasenverschiebung ausmacht, aber das resultierende Gebilde würde ebenso starr um die Achse rotieren und wieder nur einen Sinusschatten werfen. So kann man Punkt an Punkt reihen und alle Winkel berücksichtigen und bekommt die resultierende Amplitude und Phasenlage heraus, d.h. zu welcher konkreten Zeit sich der Schatten an einer bestimmten Position seiner periodischen Bewegung befindet.

Durch solche einfachen Modelle kann man sich das Leben gehörig erleichtern und einige Seiten im Tafelwerk einsparen. Das mit dem Schatten hat eine philosophische Dimension, denn es zeigt, wie man mit einem einfachen Modell, das gar nicht real sein muss, manch unverständliche Erscheinung erklären kann.

Christian Rempel in Zeuthen, den 28.11.2017