Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 45 2016 „Telefonieren“

Telefonieren

 

Ich habe immer mehr Freunde und Verwandte, die aus unerfindlichen Gründen das Telefonieren gegenüber einem Brief vorziehen und sei er auch nur eine email. Eigentlich gibt es nur noch zwei, der eine aus eigenem Antrieb und immer mal wieder diesen Kommunikationsweg einfordernd, die andere, meinem Wunsch entsprechend, die noch schreiben. Zwar auch keine richtigen Briefe mehr, aber immerhin eloquente emails.

In den sozialen Medien, wo ja noch überwiegend geschrieben wird, wenn man nicht eine Sprach- oder Bildnachricht sendet, ist scheinbar nur Raum für die absoluten Alltäglichkeiten. Man wird quasi aufgefordert, wohl noch durch einen realen Menschen oder eine virtuelle Gruppe, sich über die einfachsten Dinge auszubreiten. Das ist insofern berechtigt, weil die Alltagsbewältigung ja heute schon eine große Herausforderung ist, wie zum Beispiel zur rechten Zeit Laub zu harken oder eben ein Essen pünktlich und toll auf den Tisch zu bringen. Manchmal kommt der Impetus, sich derart zu outen, auch von innen, denn indem man sich über diese banalen Dinge ausbreitet, kann man auch mit Recht erwarten, dass der Gegenüber einen ebenso ins Vertrauen zieht, was die minütliche Abrechnung des eigenen Lebens betrifft. Man hat also Anteil aneinander und so weit so gut.

Sieht man den Umfang solcher, jeweils kurzgefasstesten Infos in der Gesamtheit, so kann man Mitgefühl mit den potenziellen Analysten entwickeln, die sich daraus vielleicht ein Persönlichkeitsbild basteln wollen oder aus den Daten der Handysensoren schließen wollen, ob derjenige gerade Kabolz schießt oder ruhig auf einer Gartenbank sitzt, man weiß ja auch genau, wo. Jugendlichen ist dieser Verlust der Privatsphäre eher suspekt und sie kommunizieren z. B. nicht, ob sie online sind oder eine Nachricht gerade gelesen haben. Gegenüber irgendwelchen Leuten oder diesem kleinen Automaten natürlich doch, die dafür sorgen, ob ein Häkchen gesetzt wird oder sich verfärbt.

Es gibt natürlich auch nur wenige, deren Leben wirklich fotogen ist, die etwas hervorbringen, das dann allgemeine Bewunderung hervorruft. Meine Frau, so hört man, soll zu diesen gehören und ich weiß es natürlich aus eigener jahrelanger Erfahrung.

Nur, ein Brief ist etwas anderes. Er kann wünschenswerter Weise sogar von Hand geschrieben sein. Er ist ein mehr oder weniger langer Monolog, der heute nicht mehr unbedingt auf Erwiderung hoffen kann. Mein letzter handgeschriebener Brief, der nur einer vertrauten Person galt, wurde auch nicht erwidert, denn man könne doch telefonieren, wo ein Wort das andere gibt, das Reaktionsvermögen des anderen strapazierend, und schließlich ist das dann, mit einiger Übung, ebenfalls ein Monolog, bei dem aber keiner mehr sagen kann, der andere hätte nicht ausgiebigste Gelegenheit zur Erwiderung gehabt. Ein Telefonat ist eigentlich nie wichtig, ein Brief aber kann das durchaus sein. Doch wer wollte sich schon wichtig machen?

Christian Rempel in Zeuthen, den 6.11.2016