Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW02 „Jene lebt sich’s bene“

In Jene lebt sich’s bene

 

Größenwahn gehört in die Hauptstadt, möchte man meinen, aber die Provinz macht sich mausig und meint, die ehemalige Hauptstadt der DDR schon übertroffen zu haben.

Als wir ins Steigenberger Maxx Hotel einchecken, wissen wir noch nicht, dass dies nurmehr die zweite Adresse ist in Jena, die erste Adresse wäre das Scala Hotel im sog. Penis Jenensis gewesen, das nicht nur fast dreimal so teuer ist, sondern auch mit dem Slogan wirbt, das zweithöchste Hotel zu sein.


Als Hessen im Mittelter noch eine Provinz Thüringens war, hätte man das Mariott Hotel in Frankfurt am Main gut und gern zur eigenen Provinz rechnen können. Das ist nun allerdings fast 160 m hoch und hat auch ca. 600 Zimmer, während man sich im Turm zu Jena mit 16 begnügen muss. Das Mariott ist nicht nur das höchste Hotel Deutschlands, sondern gleich des Kontinents.

Dass der jetzt als Jentower anglisierte Turm, der im Zuge der Stadtzentrenaufmotzung der späten Ulbrichtzeiten von Hermann Henselmann entworfen wurde, nur das zweithöchste Gebäude Ostdeutschlands bleiben sollte, ließ die Jenenser nicht ruhen und sie verfielen auf den Antennentrick, obwohl der Westfernsehempfang nicht mehr das Problem war. So brachten sie es mit einer Turmantenne letztlich auf 159,6 m, obwohl der Bau selbst nur 144,5 m hat und überragten endlich das jetzige Park Inn am Alexanderplatz (146 m, ohne eine Antenne), das etwa in der gleichen Zeit entstand.

Eigentlich waren wir nicht nach Jena gefahren, um im höchsten oder zweithöchsten Hotel zu wohnen und dabei eine dreistellige Summe für eine Nacht zu lassen, sondern es war der halbrunde Geburtstag von Professor Wilhelmi und das ja auch immer fast die einzige Gelegenheit ihn mal wieder zu treffen nebst den Mitstreitern aus der Wissenschaft, die er zu solchen Gelegenheiten immer wieder um sich schart. Unsere Bekanntschaften rühren ja mehr von meiner letzten Zeit in Jena vor drei Jahren her, die ich bei Jenoptik zubrachte, als man dort noch Monochromatoren baute.

Am Sonnabend haben wir zunächst einen nächtlichen Ausflug zu den Dornburger Schlössern unternommen, das unser Dichterfürst zuletzt für drei Monate 1828 flugs aufsuchte, als man in Weimar den Leichnam des Landesvaters Carl August herankarrte und aufbahrte. Das war nichts für den zartbesaiteten Goethe, so dass er dorthin floh und vorzog ein paar Gedichte zu schreiben.

Wir trafen also zum Frühstück in unserem nur noch zweitklassigen Fünfsternehotel einen jungen Mechanikus und ich konnte das erste Mal an diesem Tage meine Girlandenmaschine vorführen und ein bisschen angeben. Das zweite Mal auf dem Geburtstagsempfang ging auch noch an, doch als ich das dritte Mal bei einem Besuch des Monochromatorkonstrukteurs Bernd Seher dazu anhob, erging das Verbot meiner Frau, zum dritten Mal die gleiche Platte abzuspielen.

Ein Gedicht, uns fehlen ja hier nicht nur zweithöchste Hotels, sondern auch inspirierende Schlösser, musste ich steckenlassen, weil der persönliche Bezug etwas schwach ausgefallen war und ich nicht mehr sicher war, ob man im Lande der zweithöchsten Hotels nicht auch meinen würde, selber besser dichten zu können.

Es gerät mir doch alles nurmehr ein bisschen allgemeiner und so ritt ich mal wieder auf dem Goldenen Zeitalter dichterisch herum. Sollte sich dieses hier in Berlin einstellen, so kann man sicher sein, dass es in Jena bald das Zweitgoldenste geben wird. Salut also nach Jene.

Christian Rempel,
Im Waltersdorfe 12.1.2013