Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Schöne schwertschwingende Frau

Fast des ganzen geisteswissenschaftlichen Arsenals bedient sich Kerstin Kempker in ihrer Diplomarbeit aus den 90 er Jahren unter dem Titel „Teure Verständnislosigkeit“ und verspricht im Untertitel, dass man etwas erfährt über „Die Sprache der Verrücktheit und die Entgegnung der Psychiatrie“, was sich aber nicht ganz erfüllt. Man könnte meinen, hier werden Kosten aufgerech­net, die doch wirklich immens sind, aber der Titel ist Samuel Becketts Werk entnommen, der schon Grund hatte gegen seine Artgenossen aufzubegehren: „… mir eine Sprache eingetrichtert zu haben, von der sie sich einbil­den, dass ich mich ihrer nie bedienen könnte, ohne mich zu ihrer Sippschaft zu bekennen, ein feiner Trick … Teure Verständnislosigkeit, dir werde ich letzten Endes zu verdanken haben, ich zu sein.“
Immer noch andächtig können wir Ingeborg Bachmann lauschen, die mit ihrem unvollendeten Roman „Der Fall Franza“ die ganze Arbeit begleitet, die dem Zyklus „Todesarten“ entstammt und immerhin so vollendet ist, dass die Protagonistin über ein Ehejoch mit einem Psychiater in der Wüste sinnierend stirbt. Auch kann man ihrem Kassandraruf folgen, wenn sie sagt: „Der Frag­wür­digkeit der dichterischen Existenz steht nun zum ersten Mal eine Unsicherheit der gesamten Ver­hältnisse gegenüber. Die Realitäten von Raum und Zeit sind aufgelöst, die Wirklichkeit harrt stän­dig einer neuen Definition, weil die Wissenschaft sie gänzlich verformelt hat. Das Vertrau­ens­verhältnis zwischen Ich und Sprache und Ding ist schwer erschüttert.“
Man kann das am freien Markt festmachen, in dem das Kapital den Künstler als Narren und Hofnarren verwertet oder wie ein gewisser Walter Vogt schmunzeln: „Das Gewaltige an der modernen Kunst ist ja gerade, dass sie in einer Welt der Technik und des unaufhaltsamen natur­wissenschaftlichen Fortschritts groß und ungerührt ins Infantile regrediert – dass sie DaDa sagt, wo sie nach Ansicht der Professoren Dankeschön sagen sollte, für Schweigegelder, Treueprämien und Dienstaltersgeschenke, womit man sie auszeichnet und verlacht.“
Ja kommt denn nun von den Verrückten die ganze Poesie oder überhaupt die ganze Kunst? In den Apokryphen der Bibel wird harsch mit ihnen umgegangen:

Wer mit einem Narren spricht,
redet zu einem Schlafenden.
Am Ende wird er fragen: Was ist los?

oder:

Aus dem Narren aber bricht das Wort heraus
wie das Kind aus dem Leib seiner Mutter

Immerhin findet man Verrücktsein, als Zeichen zeitweiliger seelischer Höhenflüge ganz gut, wenn man etwas einfach irre findet, jemanden irrsinnig schön oder verrückt nach jemandem ist. So kokettiert man ganz gern mit dem Irresein, eben nicht ganz normal, wie immer, wie gehabt, roger, so lala, geht so. Das ist also ein bisschen das Salz in der Suppe im Leben, steht für das Un­vorhergesehene, das Thrillende, aber so richtig ernst machen will man es damit nicht.
Die echten Irren sind dann freilich auch mit einem Stigma versehen, von dem man sich nicht mal richtig befreien kann, wenn man wieder draußen ist, sich höchsten von diesem Makel eines Ichs zu einem Ich transformieren kann, das einen bestimmten Makel korrigiert hat. So fürchten sich aus der Klapse Entlassene manchmal davor, „sich mit dem Ehegatten oder Arbeitgeber in scharfe Auseinandersetzungen zu verwickeln, wegen des latenten Stigmas, für das es als Indiz gewertet werden könnte, wenn sie Emotionen zeigen.“ Eine fast unentrinnbare Falle, wie der Antipsychiater Ronald D. Laing schildert:

Es muss etwas mit ihm los sein
denn sonst würde er sich nicht so verhalten
als wenn nichts wäre
also verhält er sich so
weil etwas mit ihm los ist
Er glaubt nicht, dass etwas mit ihm los ist
weil ein Teil von dem, was mit ihm los ist
ist, dass er nicht glaubt, dass etwas mit ihm los ist
Also müssen wir ihm helfen zu erkennen
dass die Tatsache, dass er nicht glaubt
dass etwas mit ihm los ist
Ein Teil von dem ist, was mit ihm los ist

Auf diesem Wege kommen Psychiater also manchmal zu ihren Diagnosen, die leichter zu wider­legen als zu beweisen seien. Das Salz in der Suppe, die Verrückten, machen sich also mau­sig.
Es gibt sogar welche, die schreiben, aber „ihre Schriften bestehen zum großen Teil aus Ein­gaben an die Anstaltsleitung, an Regierungsstellen, Ämter und Behörden, worin sie ihre Ent­lassung fordern, Angriffe gegen vermeintliche Verfolger richten oder ihre Erfindungen anpreisen. Es fehlt dabei jedes Krankheitsbewusstsein. Auch diese Schriftstücke können sprachlich und formell unauffällig sein.“ Wenn Sie also an so einer verantwortlichen Stelle sitzen, achten Sie immer genau auf den Absender, es könnte immer das Produkt eines Irren sein, das Sie am besten übergehen. Es versteht sich von selbst, dass man als Stigmatisierter besser in keine ernsthaften Konflikte gerät, bei denen von diesen Mitteln zivilisierten Umgangs mal etwas abhängen könnte. Im Nahfeld handelt ein Insasse sich nur gewisse Nachteile ein.

Da muss man sich schon wieder einmal anstrengen, wie Ingeborg Bachmann:

Wort, sei von uns,
freisinnig, deutlich, schön.
Gewiss muss es ein Ende nehmen,
sich vorzusehen. …
Mein Wort, errette mich!

Im Endeffekt wird man als Psychopath meist gemieden und kann in Ruhe Paul Celan lesen:

Wer mit der Lampe allein ist
hat nur die Hand, daraus zu lesen.

Привет Kerstin.

C.R. 12.8.2012
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