Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW41

Reise in monarchisches Gebiet

 

In einem deutschen Städtchen namens Amor­bach sollen wir 2 Euro entrichten, um eine Kirche zu besichtigen. Der Mann an der Kasse erklärt, dass die Kirche schließlich pri­vat sei. „Hatten Sie denn hier keine Revolu­tionen, die die Grafen hinweggefegt haben?“ „Nein, Revolutionen gab es hier nicht.“
Der Landstrich, der bei den Revolutionen ver­gessen wurde, heißt Odenwald und bildet die Südspitze Hessens. Das ist heute eine ty­pi­sche Schlafgegend, umgeben von Ballungs­ge­bieten wie die Industrie am Neckar und Rhein und rechts schon angrenzend an Bay­ern. Viele nehmen täglich zwei Stunden Au­to­fahrt auf sich, um zur Arbeit und zurück zu gelangen.
Die Römer hatten dort einen Teil ihres Limes errichtet und Franz I. von Erbach, ein Zeitge­nosse Goethes, hatte neben anderen Samm­leraktivitäten auch Teile desselben ausgraben lassen und gilt nun als ein Limes-Pionier. Dass er das ganze Schloss mit Hirschgewei­hen bepflastert hat, ist etwas gewöhnungs­be­dürftig, aber dass er seinen Untertanen das Elfenbeinschnitzen beibrachte, führte zu einer nicht zu vernachlässigenden Einnahme­quelle und einer Kultur, die heute noch be­steht, selbst wenn die Wende auch ein un­gün­stiges Datum für deren Rohstoffe war, denn seit 1989 darf man Elfenbein nicht mehr einführen.
Heute üben sich die Schnitzer an der Stein­nuss, die etwa 5 cm groß ist. Aber auch in diesem Kunstzweig scheint es so, dass die arbeitssparenden Formen heute dominieren und man nicht mehr an die Leistungen der Vor­kriegsschnitzer mehr herankommt, die noch Rosen fertigen konnten, die so zart wa­ren, dass sie förmlich ein wenig aufblühten, wenn man sie mit Wasser besprüht hat.
Die Odenwälder bedauern ein bisschen, dass man da noch keine Autobahn durchgebaut hat, aber gerade das macht diese Gegend eben so naturbelassen. Man möchte ihnen zurufen, dass sie doch lieber weiterhin Serpentinen fahren sollen, aber als Alterna­tive zum Auto gibt es eben nur die Eisen­bahn, deren Pioniere auch dort immerhin eine Strecke gebaut haben, die heute privat betrieben wird, ansonsten wohl schon einge­stellt wäre.
Ins Gästebuch der süßen Ferienwohnung schrieben wir folgende Verse:

 

Odenwald
Im Süden der Neckar, im Norden der Main,
dahinter der Spessart, im Westen der Rhein;
kann das denn was andres, als der Odenwald sein?
Wasser gibt`s reichlich, eine Autobahn nicht,
willst Du hier verreisen, ist so einfach das nicht,
Du kurvst eine Stunde durch dichtes Dickicht.
Die Römer, verzweifelt, haben hier halt gemacht,
die Bayern und Franken es nicht weiter gebracht.
Selbst die Revolutionen, die ganz Europa geseh`n,
konnten hier sich nicht lohnen, kann man hier nicht versteh`n.
So hat man noch Grafen, eine Eisenbahn reicht,
haben gut hier geschlafen, keine Gegend wohl gleicht
dem wilden, verschonten, von Natur nicht geschönten
Odenwald, wo wir wohnten, uns ein wenig verwöhnten.

 

Die Wälder im Odenwald sind, nicht nur wegen der Berge, undurchdringlich, sondern auch weil man die Säge nur benutzt, um das Zeug herunterzuhauen und dort liegenzulas­sen, wo es gerade hinfällt, ganz so, wie es bei uns seit der Wende nun auch praktiziert wird.
Nun haben wir unser Brandenburg mit dem weiten Himmel und seinen Seen wieder und genießen es doppelt.
Im Waltersdorfe 8.10.2011