Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Genderstudies

Die Schweden sind schon ein beachtliches Volk, obwohl es doch nur 8,8 Millionen Einwohner sind und somit von der Bevölkerung nicht mehr als eine halbe DDR. Das Sicher­heitsauto inklusive Dreipunktsicherheitsgurt, das Tetra Pak und Ikea sind Nachkriegs­entwick­lungen, die von sich reden machten. Trotz immer noch vorbildlicher Sozialpolitik erobern schwedische Unternehmen nach und nach auch die deutsche Wirtschaft, wenn man zum Beispiel an Vattenfall denkt. Früher bedurfte es für europäische Eroberungen noch eines Gustav Adolf, der bei Lützen im dreißigjährigen Krieg fiel, aber heute besorgt man das auf leisen Sohlen. Ganz zu schweigen ist von der Erfindung des Sicherheitszünd­holzes, des Dynamits Alfred Nobels oder der Celsiusskala und den Forschungen Linnés, die ebenfalls den Schweden zu verdanken sind und schon weiter zurückliegen. Insgesamt ein sympa­thisches Land, das sich auch noch Ziele zu stellen versteht, wie jüngst, die völlige Unab­hängigkeit vom Erdöl zu erreichen.

Mir ist das Land nicht ganz unbekannt, wenn ich auch nur den Süden von Zeit zu Zeit bereise, um dort an einem Synchrotron zu versuchen, unsere Geräte in Gang zu bekommen. Allerdings ist auch der Süden am meisten besiedelt, denn dort ist es noch einigermaßen auszuhalten, während die waldreichen nördlichen Gegenden wohl eher für spezielle Menschen sind, die da bei 12 Grad Celsius schon in T-Shirt und kurzen Hosen herumlaufen, Wikinger eben.

Zu DDR- Zeiten hat ein Film von sich reden gemacht, der 1973 von Ingmar Bergman gedreht worden war und der „Szenen einer Ehe“ hieß. Wollte man heute sagen, was diese Talks eigentlich zum Inhalt hatten, so könnte man das gar nicht sagen, außer dass es dabei um die zwischenmenschlichen Beziehungen ging, es unheimlich spannend und treffend war und man viel über das Zusammenleben zwischen Mann und Frau daraus lernen konnte. Dieser Film ist wie ein Pflug, der das Innerste aufreißt, was dann sichtbar wird, ist keine blutarme Psychologie sondern immer an den Grenzen des Tabus, das nach Bergman nur durch den eigenen Mangel oder das Vorhandensein von Mut gesetzt ist. Und Bergman hat als sein großes Vorbild August Strindberg (1849-1912), der das hier zu besprechende Frühwerk „Am offenen Meer“ geschaffen hat, das mir von Dir empfohlen wurde.

Die obige Vorrede war allerdings gar nicht der Ausgangspunkt, sondern kam mir erst nachträglich, als ich sehr beeindruckt war von diesem Lesevergnügen, das sich nicht gleich auf den ersten Seiten erschließt, sondern das sich nach und nach einstellt. Bei mir genau dann, als die erste Frau ins Spiel kam, nachdem uns der Autor mit Naturbeschreibungen von an sich nichtssagenden Schären und einer langatmigen Vita eines Fischerei-Inspektors eingelullt hat. Jede Pflanze und jedes Gesteinsäderchen im Gneis wird auf das Genaueste beschrieben, was einem durchaus Bewunderung abringt für diese umfassenden Kenntnisse, die sowohl der Fischerei-Inspektor Borg haben musste als natürlich auch der Autor Strindberg. Man baut schon ein wenig Komplexe auf, wenn man selbst an einer Ostseeinsel wohl nur wenig mehr als Sand und Steine und hier und da nichtssagende Pflanzen wahrnehmen würde. Genau so eine unbedarfte Begeisterung äußert Maria, als sie von dem Helden heimlich bei einem Insel­besuch belauscht wird und er sich an ihrem naiven Gemüt erbaut, nicht ohne die Unbedarft­heit der Äußerungen ganz aus dem Auge zu verlieren. Eine Frau stünde auf einer Zwischen­stufe zwischen dem Kinde und dem Manne, der dem Helden als die Krone der Schöpfung gilt. Dieser ideale Mann ist für ihn nicht vordergründig ein leibliches Wesen mit überflüssigen Muskelpaketen, sondern ein Naturwissenschaftler oder besser ein Wissender. Das grenzt ihn nicht nur gegenüber der Frau, auf einer niederen Stufe stehend, ab, sondern auch gegenüber den einfachen Menschen, die auf der Schäre als Fischer gegenwärtig sind. Da haben wir also die Geschlechter- oder Genderfrage und die Frage nach dem Elitären der Intellektualität. Gibt es denn spannendere Fragen für unsereins?

Bei dem Buch handelt es sich um die beste Empfehlung, die ich jemals bekommen habe. Auch wenn es sich wie bei „Szenen einer Ehe“ um eine flüchtige Essenz handelt, eine Essenz, die so schnell verfliegt, dass man vielleicht in ein paar Tagen keinem mehr klar sagen kann, was einen an diesem Buch so faszinierte. Ich will also noch rasch etwas von den flüchtigen Dämpfen auffangen und für die Nachwelt erhalten. Dass es sich dabei auch um eine für den Mann gefährliche Substanz handelt, sollte man auch nicht vergessen, denn Strindberg war nach drei kurzen Ehen als Frauenhasser verschrien und Bergmann hat sogar 5 Anläufe einer Ehe gemacht und hat 9 Kinder. Nicht dass Kindersegen Ausdruck der Gefahr des Nachden­kens über die Geschlechterfrage ist, aber es lässt sich leicht einsehen, dass man bei einer solchen Menge schnell den Überblick verliert, man also kein einziges richtig erziehen kann, wie wir ein bisschen aus unserer eigenen Kindheit wissen und selbst nur um weniges besser sind.

Aus welchem Stoff also ist dieses klassische Meisterwerk gemacht? Ein Fischerei-Inspek­tor kommt auf die Insel, um den zurückgehenden Fang des Strömlings, was so eine Art Herings­verschnitt ist, durch geeignete Maßnahmen zu beheben. Einerseits muss er dafür sorgen, dass nicht gleich die Jungfische gefangen werden, so dass es Nachwuchssorgen gibt, andererseits muss er herausfinden, ob es Mittel gibt den Fang zu steigern. Da die Fischer sich bisher auf die seichten Gewässer beschränkt haben, versucht er die Fischerei in tieferen Meeresgegenden zu befördern. Dazu schaut er stundenlang mit einem Fernrohr ins Wasser um die Laichgründe zu beobachten und den Verbleib der Fische zu bestimmen. Da er andererseits das Fischereiverbot mit zu engmaschigen Netzen durchzusetzen versucht, ist er gründlich unbeliebt. Ob seine Unbeliebtheit den Grund der Unkonventionalität hat oder ob es seine menschliche Abgründigkeit ist, kann man nicht entscheiden. Jedenfalls hat er schon als junger Hochschulabsolvent auch unter Akademikern das gleiche Problem, weil er dort ebenso herausragt mit der Entdeckung eines neuen Minerals, die man ihm nicht gönnt. Ansonsten bewegt er sich doch lieber in gebildeten Kreisen, ist wohl im besten Sinne ein Forscher und versucht eben auch unter den einfachen Leuten das Gesetz durchzusetzen. Die Fischer lassen es sich nicht verdrießen, holen sich die beschlagnahmten zu engmaschigen Netze zurück, und als er eine Fischerin dafür vor den Richter bringen will, erfassen seine Hand plötzlich zwei zarte Hände und führen sie bezwingend an eine weibliche Brust. Er lenkt ein, sieht von der Bestrafung ab und macht sich damit unter den Fischern völlig unmöglich.

Die zarten Hände und weibliche Brust gehören Maria, die er bei seiner einsamen Natur­betrachtung kurz davor kennengelernt hat und die mit ihrer Mutter zur nervlichen Rekonva­leszenz auf der Schäre für den Sommer weilt. Sie ist von beträchtlicher Schönheit, wie es eben sein muss in einem Roman, hat allerdings ein zu großes Kinn, weshalb uns der Autor nicht die Vision vorenthalten kann, wie sich dann später eine grässliche Hakennase auf dieses herabsenken wird, so dass sich Nase und Kinn somit näher kommen werden, als es unsere ästhetischen Vorstellungen gut finden. Sonst wäre das Folgende vielleicht sogar romantisch geworden, aber Strindberg tritt die Glut der Romantik, die in Schweden länger noch als in Deutschland glimmt, aus und liefert ein so lebensvolles Bild einer Frau, wie man es einem Frauenverächter gar nicht zutraut. Der Schluss liegt nahe, dass er das gar nicht ist, aber sich auch nicht vor der Frage drückt, wie so viele Frauenrechtler, welche handfesten und doch gar nicht so beklagenswerten Unterschiede zwischen Männern und Frauen sein könnten. Die Frauen, durch die Legende von Evas Sünde herabgewürdigt, wird in Maria dergestalt verherr­licht und geadelt, dass dies alles überwiegt. Und Strindberg nannte seine Frauengestalt eben mit diesem göttlichen Namen, was man nicht anders deuten kann als eine Verehrung des weiblichen Geschlechtes.

Borg, der Fischerei-Inspektor, beschließt nun, diese Frau für sich zu erobern. Dazu bietet er alle Kräfte auf, die ihm dafür geboten scheinen. Die gelangweilten Damen nähmen am liebsten ständig seine gebilde­te Gesellschaft in Anspruch, aber er hat ja auch noch andere Aufgaben, eine wissenschaftliche Mis­sion, die freilich nur angedeutet wird, damit kein Mann sagen kann, er fände sich in ihm nicht wieder. Dass er alles einbringt und sogar auf seine min­destens zeitweise angestrebte Einsamkeit verzichtet, bis eben auf sein Herz, hat nicht etwa die Ursache, dass er etwas egoistisch zurückhält, sondern weil es vielleicht eine Tatsache sein könnte, dass dem geistvollen Mann dieser kleine Erbfehler mitgegeben ist. „Dann soll er doch gefälligst Herz zeigen!“, möchte man ihm da zurufen, aber wenn doch sein Kopf unaufhörlich arbeitet, wie er unter Einsetzung seines Intellekts diese schöne Frau gewinnen kann, wer will ihm da zürnen. Könnte da denn nicht bestenfalls Heuchelei herauskommen?

Unter der Oberfläche dieses talentierten und mit allen einschlägigen Ehrbegriffen verse­henen Mannes spielt sich etwas ab, das man nur ahnen kann, und das könnte tiefempfundene Liebe sein. Sie beschließen eine Kirche zu bauen, um die Fischer zu höheren Werten zu führen, obwohl er wie jeder Scharfsinnige nicht an Gott glaubt. Aber auch das erhebt die vergötterte Maria nicht zu den gewünschten Höhen. Sie zeigt eher Interesse an dem herbeige­schafften Prediger, der sich als Schulkamerad des Fischereiinspektor herausstellt, den dieser einmal in der Kindheit beleidigt hat. Borg also hat wohl ein von Anfang an verpatztes Leben, denn der Prediger hält ihm diese Jugendsünde nach 25 Jahren vor. Die religiöse Bekehrung des Fischerdorfes gerät unter dem neuen Prediger zu einer anderen Art des Müßiggangs, wo gepredigt wird, wo man hätte arbeiten sollen. Dann wird Borg ein Assistent beigestellt, der wegen seiner Muskelpakete und seines unbedarft unbefangenen Wesens gleich wieder die Aufmerksamkeit Marias erregt. Außerdem bringt dieser noch die Theorie mit, dass man auf keinen Fall eifersüchtig sein soll, was für den Fischerei-Inspektor als Lehre herhalten soll, die er sogar beherzigt, aber auch das schlägt ihm zum Schaden aus, denn letztlich verliert er Ma­ria an seinen jungen Assistenten.

Einen Mann, der nicht einmal wagte kalt zu baden, weil das dem Geist abträglich sein könn­te, diesen Fischereiinspektor sehen wir dann grandios scheitern, so dass er zunächst sein Ansehen, seine Menschenwürde und schließlich sein Leben aufgibt, womit er entweder einen schlagenden Beweis seiner Liebe zu Maria gibt oder den Bankrott eines von Anfang an danebengelebtes Leben erkennen lässt. Die Entscheidung ist unserem eigenen Mitgefühl anheim gestellt. Und Vorsicht, jeder intellektuelle Mann erkennt sich in ihm selbst, so er sehen kann. Lernen wir, um alles kontrollieren zu können? Indem wir versuchen eine Frau zu kontrollieren, erhebt sich die Frage, ob wir das nicht mit allen anderen Dingen genauso machen wollen. Ein Buch nur für Männer.

C.R. 12.08.2006