Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW37

Utopisches

 

„Keine Weltkarte ist eines Blickes wert, die das Land Utopia nicht enthält“, fasste der geistreiche Oscar Wilde zusammen. Als nun in der Schule wieder einmal eine Weltkarte ausgerollt wurde, sah mein Sohn demgemäß nicht hin und entdeckte wenig später dieses Land auf dem Schreibtisch seines Vaters, als er gerade mal wieder eine stolze Zwei vor­weisen wollte.
Nachdem im Gedichtladen ein umstrittenes Gedicht entstanden war zu diesem Thema, machten sich detektivische Recherchen not­wendig, um wie viel besser es unsere Vor­den­ker schon gemacht haben. Was lag da näher, als Ernst Blochs Werk „Freiheit und Ordnung, Abriss der Sozialutopien“ zur Hand zu nehmen und bald festzustellen, dass die­ses schmale Werk noch schmaler geratene Anregungen enthält.
Das Bild der Utopien stellt sich ungefähr so dar, dass schon die Griechen welche entwar­fen und man bald von der Gelahrtheit zu er­fun­denen Reiseberichten überging, in denen man vorgab ein solches Land nicht nur auf der Landkarte, sondern wirklich gesehen zu haben.
Ein Brite und ein Italiener versuchten sich an der Thematik im Mittelalter, bis dann in der Zeit der Aufklärung und der französischen Revolution die Franzosen die Sache fest in die Hand nahmen.
Weiterhin steht fest, dass Marx der Sache ein Ende machte, indem er endlich dachte, wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch und den letzten Hemmschuh, einen Mann von „utopischem Dünkel“ dem Prole­ta­ri­at aus dem Weg räumte. Das verstand er wohl unter der „Wiederherstellung des Men­schen“, der wir in der Tat einige Jahrzehnte teilhaftig wurden und noch heute davon zehren.
Dieser Hemmschuh hatte den Namen Wilhelm Weitling, ein Magdeburger Schneider, der es zu einiger Gelehrsamkeit gebracht hatte und dem Rosa Luxemburg sogar Genialität bescheinigte.
Dieser letzte Mohikaner der Utopie ging nach seinem Pariser Exil in die USA und versuchte dort praktisch zu erproben, wie seine Ideen funktionieren und, wen wundert`s, sie funk­tionierten nicht.
In seinem Utopia gab es weder mehr Geld, noch privaten Besitz und er rechnet auch mit den Halbheiten ab, die es späterhin zwar auf ein paar Jahrzehnte des rechten und schlech­ten Funktionierens gebracht haben, aber letzt­lich nun auch bei den Akten liegen.
Immerhin ist seine Sprache so, dass sie einem Deutschen an poetischer Kraft alle Ehre macht und er war von einem wahren Christentum, an dem sich auch zu jener Zeit ein Kirkegaard totgearbeitet hatte, beseelt.
Man soll keine Fehlersuche betreiben, so hatte man es uns im Sozialismus immer wieder nehegelegt, aber das war ja eine der Lektionen, die wir nicht zu lernen vermoch­ten.
Die Abkehr vom Christentum steht aber un­ter Generalverdacht, der entscheidende Feh­ler des Sozialismus gewesen zu sein.
So sind wir jetzt leider noch nicht weiter, als es Weitling dann war:

 

„Ein Neuer Messias wird kommen,
die Lehren des ersten zu verwirklichen,
den morschen Bau des Alten zu zertrümmern,
die Tränenquellen ins Meer der Vergessen­heit leiten
und die Erde in ein Paradies verwandeln.“

 

Wo sind die Maler, die uns ein Bild davon geben, wo der Gärtner, der uns Eden schauen und durchschreiten lässt, wo der Schriftsteller, der ein paradiesisches Buch schüfe, wo der Clown, der uns in solcher Welt lachen machte? Alles, was uns hier Utopia sein könnte.

 

Im Waltersdorfe 7.9.2011