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Kolumne KW32 „Urlaubslektüre“

Urlaubslektüre

 

Was eigentlich als Urlaubslektüre gedacht war, der Roman von dem israelischen Autor Amos Oz mit dem Titel „Judas“, wurde nun in zwei Tagen verschlungen, in denen ich auf die Bestätigung meines schriftlichen Werkes wartete, die allerdings, sicher aus guten Gründen, ausblieb.


Die Wiederbegründung eines israe­lischen Staates nach dem zweiten Weltkrieg war sicher so ein Traum, den ein ganzes verfolgtes Volk träumte, und unter ihnen soll es dennoch einen gegeben haben, der meinte, dass eine solche Staats­gründung ein Fehler sein sollte, der nur zu weiterem Blutvergießen führen würde. Wenn also ein Buch geschrie­ben wird, in dessen Erinnerung eine solche fiktive Gestalt vorkommt, so ist das nicht anders, als wäre in der DDR ein Buch erschienen, das die ganze Staatsgründung, die ja damals eine Reaktion auf die westdeutsche war, als verfehlt ansieht.

Das Buch spielt 1959, also zwölf Jahre nach der Staatsgründung von Israel, aber die ganze Sinnlosigkeit und Gedämpftheit der Existenz passt wohl eher in die heutige Zeit. Der Prota­gonist ist nämlich ein Student, der über das Jesusbild der Juden forscht und dessen Eltern ihn wegen wirtschaftlichen Ruins nicht mehr unterstützen können. Statt sich nun, wie seine ältere Schwester, einen Job zu suchen und das Studium selbst zu finanzieren, gibt er sofort auf und nimmt eine etwas obskure Stelle an, bei der er einen älteren gelähmten und redseligen Mann täglich an den Abenden unterhalten soll. Er ist nicht der erste und nicht der letzte, der diese Stelle in dem seltsamen Haus am Rande Jerusalems antritt und zum Inventar des Hauses zählt, auf dass es auch ein bisschen prickelnd erotisch werden kann, eine nicht mehr ganz junge, aber sehr schöne und anziehende Frau, in die sich schon alle Vorgänger dieses Studenten auf der Stelle verliebt hatten.

Einen ganzen israelischen Winter verbringt der gewesene Student nun in einer Mansarde des Hauses. Er ist selbst nicht ganz gesund, sondern Asthmatiker, besitzt aber mit seinem unbeholfenen Wesen bei einem Äußeren mit allen männlichen Attributen über eine gewisse Anziehung auf das weibliche Geschlecht. Obwohl er sich schriftlich verpflichten musste, nichts über das Haus und seine Arbeit verlauten zu lassen und er auch nicht ins Bild gesetzt wurde, in welchem Verhältnis der gelähmte alte Mann und die Schönheit standen, wird er doch so nach und nach gewahr, was die Geschichte des Hauses ausmacht.

Die Schönheit ist nämlich die Tochter jenes einen Opponenten der israelischen Staatsgründung, der gern Kontakt hielt zu den angestammten arabischen Einwohnern, aber wohl auch ein obskurer Mensch war, der keinen richtig lieben konnte. Sie war für etwas über ein Jahr mit einem Mathematiker verheiratet, dem Sohn des gelähmten Mannes, der demnach ihr Schwiegervater ist. Dieser Sohn war ein glühender Patriot und war auf bestialische Weise in den Sezessions­kriegen umgekommen. Was die Schönheit Atalia an diesem nunmehr der Erinnerung angehörenden Sohn gefunden haben mag, ist offen, denn ihre jetzige Grundthese in Bezug auf Männer besteht darin, dass sie alle mehr oder weniger Kindsköpfe sind und samt und sonders nicht ganz ernstzunehmen. Trotzdem lässt sie den abgebrochenen Studenten dann ein paar Mal gewähren, vielleicht aus einem sexuellen Bedürfnis oder vielleicht einfach deshalb, weil das eben der Verlauf eines guten Romans ist.

Um der ganzen modernen Vergreist­heit des Romans noch die Krone aufzusetzen, bedient sich der Autor noch eines weiteren Zuges der modernen Wissenschaft, nämlich so lange und schon sinnlos geworden in den bekannten Fakten herumzu­stochern, bis sich eine originell scheinende Umdeutung ergibt. Es ist dies nicht weniger als die Jesus Saga, den sein eigener Jünger Judas verraten hatte. Die Juden mochten Jesus nicht und halten ihn für einen falschen Propheten, eben nicht für den Messias, der auch nach ihrer Überlieferung zu erwarten stand. Diese miesepetrige Einstellung zum Gottesssohn hat nicht wenig zum Hass der Christen auf die Juden beigetragen. Jetzt aber wagt dieser abgebrochene Student, der sich als Atheist bezeichnet und der sozialistische Ideale hegt, die These, dass das Hassobjekt der Christen, der Verräter Jesum, Judas, in Wahrheit der treueste Christ war. Er hätte den Gang nach Jerusalem, wo man doch so schön Wunder getan hatte in Galiläa, mit Nachdruck betrieben, auch die Kreuzigung Jesus‘ mitins­zeniert, um zu beweisen, dass dieser doch Gottes Sohn sei und vom Kreuz unversehrt herabsteigen würde. In dieser komischen Logik durch den Kreuzestod Jesum enttäuscht (er hätte wohl die zwei Tage bis zur Auf­erstehung abwarten sollen), ging er hin und erhängte sich.

Dem Schriftsteller ist zugute zu halten, dass er sich diese abwegige These zwar ausgedacht hat, aber den Helden damit nicht reüssieren lässt, sondern ihm eine Perspektive außerhalb der Wissenschaft, als Nachtwächter vielleicht, zugedenkt.

Der Roman ist also nicht nur die Absage an eine nationale Begei­sterung, die den Israeliten schon seltsam genug vorkommen mag, denn sie befinden sich ja nach ihrem Verständnis in einem Überlebens­kampf in feindlicher Umwelt, es ist auch die Absage an die Intellektualität, die heute nicht viel mehr ergibt, als solche absurden Blüten zu treiben und was als Message bleibt, ist wohl, das Leben einigermaßen überlegt und passiv auf sich zukommen zu lassen, mitzunehmen, was sich an Annehm­lichkeiten bietet und in aller Privatheit und Introvertiertheit auf den allgemei­nen Untergang zu warten.

Pessimistisch, könnte man meinen, aber eben satt von summierter Lebensweisheit, wie sie sich uns auch nicht viel anders darbietet.

Christian Rempel im Waltersdorfe, den 9.8.2015