Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW22

Ascheleben

 

Man könnte sich derzeit über den Volunta­rismus des Flughafenbaus aufspulen, aber wir haben doch gerade die Zeit der Jugend­weihen und Konfirmationen, und tut diesen Festen die himmlische Ruhe nicht eher gut?
Wir hatten nun selbst eine Jugendweihe von unserem Sohn und seinem Freund noch aus Kindergartentagen. Sie machen nicht gerade viel aus ihrem Leben und verbringen die mei­s­te Zeit vor dem Computer. Seit gestern aber nicht mehr, wo nun beide ein BMX Rad ha­ben und heute schon den ganzen Tag ver­schwun­den sind, um die ersten Kunststücke zu üben.
Der humanistische Verband macht sehr ju­gend­gerechte Feierstunden und wir haben in Zeuthen gestern nach Jahren wieder eine erlebt, die dem Wunsch der Jugendlichen nach Unterhaltung sehr gut entspricht. Wird man so also erwachsen, wenn man sich eine hochwertige Show ansieht?
Die Themen des amerikanischen Psychologen
Robert Bly ranken sich um diese Generation der Nichterwachsenwerder, der Schulabbre­cher und Nichtstuer und gibt uns folgende Erklärung:

Die Wikinger lebten in langgestreckten Ge­meinschaftshäusern, in denen dreißig oder vierzig Men­schen ihre Betten hatten, die entlang der Wände aufgestellt waren. Die Mitte der Halle war ge­pflas­tert und es befand sich dort eine Feuerstelle. Zwischen dieser und den Betten waren beacht­liche Aschehaufen und zwischen dem Feuer und den Aschehaufen lagerten Jugendliche, die sich nicht wuschen, die nichts taten als sich zwei oder drei Jahre in der Asche zu wälzen und kauten Schlacke. Man nannte sie die Schlackebeißer. Keiner störte sich daran, dass diese Jugendlichen nichts Nützliches taten und sich nicht einmal sauberhielten.
Im elften Jahrhundert hatte der Schlacke­bei­ßer Starkad schon mehrere Jahre in der Asche ver­bracht. Dann forderte ihn sein Pflegevater auf, an einer Kriegsfahrt teil­zu­neh­men. Sofort stand Starkad auf, rasierte sich, zog sich an und wurde einer der besten Krieger auf der Fahrt und später ein berühm­ter Dichter, an den auch in den altnordischen Sagas erinnert wird.
Die Jugendweihe bei den Wikingern sah dann ungefähr so aus, dass man die Jugend­lichen von den Müttern entfernte, sie an ei­nen dunklen Ort brachte und dort mit Asche bedeckte, dass die Jungen die Farbe der To­ten hatten und man die Geister der Vorfah­ren beschwor. In den Jugendlichen muss auch etwas sterben, nämlich ihr kindli­ches Wesen. Nachdem sie Stunden oder auch Tage dort zugebracht hatten, krochen sie durch einen Tunnel aus Gestrüpp und Zwei­gen wie­der zum Licht, wo sie die Weisen erwarteten. Die Mütter taten so, als erkenn­ten sie ihre Söhne nicht und die Jungen muss­ten ihnen erst erneut vorgestellt wer­den.
Aus den Stunden der Dunkelheit wurden zwar nur noch Minuten, so der prompte mütterliche Ratschluss, aber beide waren bereit, dieses Ritual zu erproben, das im Keller von einem Schamanen zelebriert wird und von dem keiner weiß, was es eigentlich genau war. Das Timing klappte noch nicht so perfekt und die Mütter hätten noch etwas abweisender sein können, aber alle waren trotzdem sehr beeindruckt. Der Kiefern­zweig­tun­nel wurde anschließend zu einem Aschehäufchen.


Ein Ritual wie dieses bringt es:
Wir wollen’s versuchen, vielleicht
gelingt es
Im dunklen Keller mit einem Schaman
so fängt es auch bei uns hier an
Die Geister der Toten werden
beschworen
Jünglinge aschebeschmiert bis an die
Ohren
so kriechen sie durch einen Tunnel ans
Licht
selbst die Mütter nicht kennen das neue
Gesicht
Und werden den Müttern neu
vorgestellt
und treten als Männer in diese Welt


im Waltersdorfe 27.5.2012