Der Gedichtladen

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Kolumne KW01 „Ein Reizwort im Wandel“

Ein Reizwort im Wandel

 

Geht es Ihnen auch schon so, wie meiner Frau, dass sich Ihnen beim Wort „Kollektiv“ die Nackenhaare sträuben? Das setzt natürlich voraus, dass Sie diesen Kernbegriff des Sozialismus aus eigener Erfahrung kennen, sie diesen also erlebt haben.


Mir selbst geht es nicht so damit, vielleicht weil ich diesen Begriff eher mit einem Ideal in Verbindung zu bringen geneigt bin, als mit der vertrackten Realität, die es einmal gegeben hat und die wir mehr oder weniger wehmütig hinter uns ließen.

Eine Weile haben wir es ja mit dem neumodischen Begriff des Teamgeistes versucht, bis festzustellen war, dass es sich dabei nur um einen matten Abglanz des Kollektivgeistes, quasi ein Kollektivgeist ohne Kollektiv handelte. Hat man uns den weniger schönen Begriff des Kollektivzwangs inzwischen so eingetrichtert, dass wir inzwischen daran glauben, dass darin das Credo des Kollektivs bestanden haben könnte?

Ich nähre meine eigene Einstellung aber nicht nur daraus, dass ich vielleicht mehr als andere in Idealen lebe und auch zu Zeiten des Sozialismus lebte. Ich habe sogar ein echtes solches Kollektiv zu Ostzeiten erlebt, das inzwischen Erfolgsge­schichte geschrieben hat und dessen Schemen ich heute anlässlich der Beerdigung einer solchen Integra­tionspersönlichkeit wiederfand.

Stellen Sie sich unter dem Verblichenen einen Menschen vor, dem es nicht zuerst darauf ankam, selbst Erfolg zu haben und dabei alle und alles ehrgeizig hinter sich zu lassen, sondern der anderen Routinearbeiten abnahm, zu dem man mit seinen Sorgen kommen konnte, der nicht mal ein eigenes Privatleben hatte, das ihn von dieser Teilnahme hätte ablenken können.

Das Ganze stellen sie sich jetzt noch unter Wissenschaftlern vor, deren höchstes Ziel darin besteht, groß rauszukommen oder wenigstens eine der seltenen unbefristeten Stellen zu ergattern. Dass es solcher Integra­tionsfiguren bedarf, dass die Arbeit auch Spaß macht, ist im Wissen­schaftsbetrieb heutiger Prägung nicht vorgesehen. Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie der Verblichene diese Position hat ausfüllen können, denn dem Schlankheitsanspruch der Wissenschaft genügt nur der auf sich fixierte Wissenschaftler, der ja dann auch ach so erfolgreich ist.

Er ist aber aus einem Kollektiv von natürlich sehr unterschiedlich Begabten hervorgegangen, die heute überwiegend atemberaubende Positionen in der Wissenschaft und Wirtschaft bekleiden. Ich hatte vor einigen Jahrzehnten die Möglichkeit in diesem Jenenser Kollektiv zu arbeiten, das eine naturgemäß lockere Verbindung zwischen verschiedenen Fachgebieten der Lasertechnik war, das aber hervorragende Ergebnisse zeitigte, obwohl es sich nicht um eine Ansammlung von Genies handelte. Man hatte einfach Freude daran, wenn etwas gelang, egal ob es auf dem eigenen Mist gewachsen war oder das Ergebnis einer anderen Gruppe, ohne sich natürlich auf den Lorbeeren der anderen auszuruhen.

Es gab auch Geselligkeit, neben den Workshops die Höhepunkte im Kollektivleben und da gab es dann sanften Kollektivzwang, dass jeder der Anwesenden ein Lied vorzutragen hatte oder ein Gedicht oder Ähnliches, was zur Unterhaltung beiträgt. Ein Hauch davon wehte heute durch die Trauergesellschaft der altgewordenen „Kollektiv“mitglieder, in die übrigens zwanglos die Familien integriert werden. Man freut sich nicht nur an den Ergebnissen der anderen, sondern auch an deren persönlichem Glück, eine nette Familie zu haben.

Bei all dem kann es sich um eine Jenenser Besonderheit handeln, die nun halt mal einen Ausflug an die Spree gemacht hat, aber ich, der ich in dieser Truppe ein Außenseiter, weil Gast bin, empfinde wohl die angenehme Atmosphäre, die diese Truppe immer noch hat.

Es ist sicher kein Zufall, dass damals Jena zum Entstehungsort der geselligen Frühromantik geworden ist. Deshalb hänge ich dem Jenaer Geist auch immer wieder gerne an und freue mich, dass er heute mal wieder, zwar aus traurigem Anlass, einen Ausflug zu uns gemacht hat.

Christian Rempel im Waltersdorfe
9.1.2015