Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 33 2017 „Sommertheater“

Sommertheater 

Ins Theater gehen ist ja schon lange ein Risiko. Manchmal ist es die Frage, ob sich der Weg dorthin noch lohnt, wenn man dann mit einer Zumutung versehen vielleicht schon in der Pause geht. Selbst klassische Stücke sind meistens so verballhornt, dass man intellektuell unterfordert oft schon bald in Missmut verfällt..Nicht so aber in Netzeband, einem Ort in der Nähe von Neuruppin, einem Theaterdorf, wo des Sommers unter freiem Himmel gespielt wird. In diesem Jahr „Der gute Mensch von Sezuan“ von Brecht, wohin man reisen muss, um noch Theater von der besten Sorte zu erleben. Da ist es wirklich das einzige Risiko, dass mal das Wetter nicht mitspielen könnte, aber selbst im Regen, so hört man, hätten die Zuschauer gebannt ausgehalten.

Schon die als Kulturstätte und Eingangsbereich genutzte Kirche mit dem Vorplatz, wo einiger Imbiss möglich ist, alles in weißes Leinen niveauvoll gekleidet, stellt ein niveauvolles Ambiente dar. Ist man eingelassen, liegt vor einem ein abfallender Hang mit prächtigen Bäumen bestanden, der in einer breiten Wiese ausläuft, die vorne unmittelbare Spielstätte ist und sich nach hinten über viele hundert Meter dehnt.
Der Gong ertönt einmal, zweimal und dreimal und schon beginnt das berückende Spiel, das fast ganz auf den eingespielten Text, die kostümierten Schauspieler, die unter ihren Masken fast kindliche Proportionen annehmen und die eine einmalige Gestik haben, das man es fast als ein Ballett mit Sprache, eben der elektronischen und der Körpersprache empfinden kann, und ganz sparsam ist auch Musik eingesetzt, die durch ihre Rarität besonders einprägsam ist.

Sezuan ist ja in China, und der gute Mensch, den Brecht da konstruiert hat, ist eine Frau, eine Prostituierte sogar, die aber als einziger guter Mensch von drei umherschweifenden Göttern, die auf der Suche nach einem Nachtlager sind, identifiziert wird, auch ein paar Silberdollar als Dank erhält, woraus sie sich eine materielle Existenz in Form eines Tabakladens aufbauen will. Verwandte und Bekannte strömen natürlich herbei und wollen teilhaben an diesem bescheidenen Reichtum, der eigentlich erst noch verdient sein will. Sie muss sich einfach dessen erwehren, was man sich aber selber anschauen muss.

Besonders anrührend, da es auch an romantischer Liebe nicht fehlt, ist die Szene, wo dem guten Mädchen von Sezuan dann das Kind aus der ganzen gedankenweiten Wiese entgegen­kommt, mit einer Lichterhaube geschmückt und in einem weißen Kleid, und sie ihm die zu erwartende Welt zeigt.

Es ist also noch nicht alles verloren für das Theater und zum Schluss gibt es dann noch life sogar ein paar sinnige Reime, dass es einen als Traditionsbewusster nur so freuen kann und diese Betrachtung gern in die Annalen des Gedichtladens einschließt.

Christian Rempel in Zeuthen, den 20.8.2017