Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 13 2017 „Erinnerungskultur“

Erinnerungskultur

 

Letztens klingelte es und wir dachten schon, es sei die Post, die ja fast täglich ein Päckchen bringt, aber diesmal war es eine sehr, sehr hübsche Blondine in passendem Alter, die sagte, sie hätte davon gehört, dass mein Vater und ich in einer Männer WG leben würden, da wäre doch vielleicht noch ein Plätzchen für ein bisschen Weiblichkeit.

Ich war gerade am Fischbraten, und weil ich meistens am Freitag, weil da Waschtag ist, ein neues Hemd anziehe, das dann immer am gleichen Tag mit Fettsprenkeln versehen ist, hatte ich heute zum ersten Mal eine Schürze um, die sich noch auf der Bodentreppe fand und aussah, als wäre sie mindestens ein Jahr nicht gewaschen. Das war nun feminin genug, um einzuwenden, dass wir der Weiblichkeit zum Kochen eigentlich nicht bedürfen, weil das ja keine Wissenschaft sei und wir das ganz gut selber hinkriegen. Sauber machen wir freilich nicht selber, aber auch da ist der Bedarf gedeckt.

Das alles seien gar nicht ihre Stärken, sagte da die Blondine, und meiner bemächtigte sich sofort eine Vorstellung von ihren Fähigkeiten, die sich jeder auch gleich denken kann. Es muss ein wenig aus meinen, nun auch schon ein bisschen betagten Augen geblitzt haben, denn sie erriet alles sofort und sagte: „Nein, darum geht es mir nicht, aber ich habe Charakter.“

Das weckte meine Neugier, denn außer einem tollen Anblick und eben dem besonders Schönen, ist das ja nun eine Sache, die man ehrlich an jedem Menschen sucht und nicht zuletzt an sich selber, aber in den seltensten Fällen findet. Fast musste ich die Augen schließen, um mich recht an einen weiblichen Charakter erinnern zu können und nicht ganz von ihrer Erscheinung eingenommen zu sein. Was fiel mir da bei? Unverständnis für technische Dinge, Launen und ein bisschen Streitsucht, Geschwätzigkeit …

„Schreiben Sie mir, wenn Sie mich schon nicht aufnehmen wollen, und Sie werden es erfahren“, sagte sie und ging ihrer Wege.

Ich also, heftig entflammt, schrieb ihr, dass sie mich sehr verdutzt hat, dass sie anbetungswürdig aussieht und dass ich mich auf den ersten Blick in sie verliebt habe. Auf jede dieser Äußerungen, die ich auf das Blumigste verpackt hatte, erhielt ich tatsächlich immer eine Antwort, die da lautete: „Heute habe ich in meinem Gärtchen eine Hortensie gepflanzt“, „Auf Arbeit gewesen“„Vorhin habe ich mein Auto gesäubert“, „Ich bin so müde, ich antworte morgen ausführlich“, was dann auch tatsächlich der Fall war, aber von der gleichen Art.

Während ich meine Entflam­mung auf das Zergliedertste in die Tasten getippt hatte, erfuhr ich nie, ob ich eine besondere Rolle in ihrem Leben spielte oder ob noch Dutzende dieser ihrer Allerweltsnachrichten teilhaftig wurden.

Da ging ich auf’s Ganze und schrieb ihr: „Sie sind mir das Wichtigste auf der Welt, ich liebe Sie!“

Nach nicht mal fünf Minuten hatte ich die Antwort: „Sie vergaßen leider zwei Wörtchen: April, April …“

Christian Rempel in Zeuthen, den 1.4.2017